Archer Jeffrey
vier Lagen bildete, und schob es zwischen Hemd und Wunde; er wußte, daß er es nicht riskieren konnte, ein Krankenhaus aufzusuchen. Vorausgesetzt, daß er vor Einbruch der Nacht eine Apotheke fand, würde er damit, wie er hoffte, schon allein fertig werden.
Adam beugte sich über die Karte. Er war nur noch wenige Kilometer von der französischen Grenze entfernt und beschloß, vor allem wegen der Wunde, so rasch als möglich Frankreich zu erreichen, statt sich, wie er ursprünglich geplant hatte, über Basel nach Bremerhaven durchzuschlagen.
Verzweifelt winkte er jedem vorbeifahrenden Auto, ohne sich weiter um dessen Nationalität zu kümmern. Zwanzig Minuten lang, überlegte er, wäre er wohl noch in Sicherheit, dann aber würde er einfach wieder in den Hügeln untertauchen müssen. Unglücklicherweise fuhren weit weniger Autos in Richtung französische Grenze als zuvor auf der Basler Straße, und keiner nahm Notiz von seinen Bemühungen, mitgenommen zu werden. Er fürchtete schon, bald wieder den Schutz der Wälder aufsuchen zu müssen, als ein gelber Citroen wenige Meter vor ihm am Straßenrand anhielt.
Als Adam den Wagen erreichte, hatte die Frau auf dem Beifahrersitz das Fenster bereits heruntergelassen.
»Wohin – fahren – Sie?« fragte Adam, indem er jedes Wort langsam und überdeutlich artikulierte.
Der Fahrer beugte sich herüber, musterte Adam sehr eingehend und meinte dann in breitestem Yorkshire-Dialekt: »Wir sind unterwegs nach Dijon. Hilft Ihnen das was?«
»O ja, sehr«, erwiderte Adam. Er war erleichtert, daß sich die Autoinsassen von seinem heruntergekommenen Aussehen nicht hatten abschrecken lassen.
»Dann springen Sie hinten hinein, zu meiner Tochter!«
Adam kam der Aufforderung nach. Als der Citroen losfuhr, sah er vorsichtig aus dem Rückfenster; zu seiner Beruhigung war die Straße hinter dem Auto, soweit er sie überblickte, völlig leer.
»Ich heiße Jim Hardcastle«, sagte der Mann, während er in den dritten Gang schaltete. Das herzliche, breite Grinsen schien sich für alle Zeiten in sein pausbäckiges rotes Gesicht eingeprägt zu haben. Das dunkle, rötlichbraune Haar war glatt zurückgekämmt und mit Brillantine festgeklatscht. Jim trug ein Harris-Tweed-Sakko sowie ein Hemd mit offenem Kragen; im Ausschnitt des Hemdes war ein kleines Dreieck roten Haars sichtbar. Adam gewann den Eindruck, daß Jim längst alle Versuche aufgegeben hatte, etwas gegen seinen wachsenden Bauchumfang zu unternehmen. »Und das ist meine Ehegesponsin Betty«, sagte Jim und deutete mit dem Ellbogen auf die Frau neben sich. Sie wandte Adam das Gesicht zu: Betty war ebenso rotbackig und hatte das gleiche zuvorkommende Lächeln wie ihr Ehemann. Ihr Haar war blond gefärbt, aber an den Wurzeln zeigte sich ein hartnäckiges Schwarz. »Und neben Ihnen sitzt unsere Linda«, fügte Jim Hardcastle hinzu, so als wäre es ihm erst jetzt eingefallen. »Ist eben mit der Schule fertig geworden und tritt demnächst eine Stelle bei der Stadtverwaltung an, stimmt’s Linda?«
Das Mädchen blickte mürrisch. Adam stellte von der Seite her fest, daß ihre ersten Versuche mit Make-up nicht sonderlich gelungen waren; der dunkle, viel zu üppig aufgetragene Lidschatten und der rosa Lippenstift waren nicht sonderlich vorteilhaft für dieses siebzehn- oder achtzehnjährige Ding, das er für ein im Grund gar nicht unattraktives Mädchen hielt.
»Und wie heißen Sie, mein Junge?« wollte Mr. Hardcastle wissen. »Dudley Hulme«, antwortete Adam. Noch im letzten Augenblick erinnerte er sich an den Namen, der in seinem neuen Paß stand. »Sind Sie auf Urlaubsreise?« fragte er und versuchte, den pochenden Schmerz in der Schulter zu ignorieren.
»Wir verbinden das Geschäftliche mit dem Vergnügen«, entgegnete Jim. »Aber dieser Teil der Reise stellt für mich und Betty etwas Besonderes dar. Am Samstag sind wir nach Genua geflogen und haben den Wagen für eine Italienrundreise gemietet. Zuerst sind wir über den Simplon-Paß gefahren, ganz schön atemberaubend im Vergleich zu unserem Heimatstädtchen Hull!«
Adam hätte sich gern nach Einzelheiten erkundigt, aber Jim schien nicht geneigt, sich unterbrechen zu lassen. »Ich mache nämlich in Senf, Exportdirektor von Colman’s, und jetzt sind wir auf dem Weg zur Jahreskonferenz der ISV. Sie haben vielleicht schon von uns gehört!«
Adam nickte verständnisvoll. »Internationale Senfvereinigung«, fügte Jim hinzu. Adam hätte beinah laut aufgelacht, aber der Schmerz in der Schulter
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