Archer Jeffrey
Platz und lächelte sie entschuldigend an.
»Haben Sie sie gefunden?« fragte sie.
»Was gefunden?«
»Ihre Rede.« In diesem Augenblick legte Lloyd einen Ordner zwischen sie auf den Tisch.
»Ja, natürlich«, versicherte ihr der amerikanische Präsident. »Übrigens, Olga, wie geht es Ihrer Tochter? Natascha, nicht wahr? Studiert sie noch Fra Angelico in Florenz?« Er legte Messer und Gabel zurück, gab sich mit einem Brötchen zufrieden, auf das er ein wenig Butter strich und erfuhr, was Natascha Pjetrowskij in ihrem ersten Jahr in Florenz bereits alles geschafft hatte. Dem Präsidenten entging nicht, daß der russische Präsident nervös war und immer nervöser wurde, je näher der Zeitpunkt seiner Rede rückte. Er vermutete sofort, daß Zerimskij eine weitere Bombe platzen lassen wollte. Die Vorstellung raubte ihm den Appetit an seinem Himbeersouffle.
Als Zerimskij sich schließlich erhob, um eine Ansprache an seine Gäste zu halten, hätten selbst seine glühendsten Bewunderer ihm einen seltenen Mangel an Konzentration vorgeworfen. Jene, die ihn besonders genau im Auge behielten, wunderten sich, warum er seine Bemerkungen an die massive Lenin-Statue in der Galerie über dem Ballsaal richtete. Lawrence glaubte, die Statue sei erst vor kurzem dort aufgestellt worden, da er sich nicht erinnerte, sie bei Boris’ Abschiedsbankett gesehen zu haben.
Er wartete, daß Zerimskij seine Botschaft des vergangenen Tages an den Kongreß noch verschärfen würde, doch er äußerte nichts Dahingehendes. Zu Lawrence’ Erleichterung hielt er sich an den abgemilderten Entwurf, von dem er nachmittags eine Kopie ans Weiße Haus gesandt hatte. Lawrence warf einen Blick auf seine eigene Rede, die er mit Andy noch im Wagen hätte durchgehen wollen. Von Seite eins bis sieben gab es keine einzige humorvolle Bemerkung. Aber Andy hatte ja auch einen sehr anstrengenden Tag gehabt.
»Lassen Sie mich damit enden, dem Volk der Vereinigten Staaten für seine großzügige Gastfreundschaft und die herzliche Begrüßung zu danken, die mir in Ihrem großartigen Land zuteil wurde, vor allem von Ihrem Präsidenten, Tom Lawrence.«
Der darauf folgende Applaus war so laut und anhaltend, daß Lawrence von seinen Notizen aufblickte. Zerimskij stand fast regungslos und starrte immer noch hinauf zur Lenin-Statue. Er wartete, bis der Beifall endete; dann setzte er sich wieder. Er sah ganz und gar nicht erfreut aus, was Lawrence erstaunte, denn der Applaus war viel lauter gewesen, als Zerimskij verdient hatte.
Jetzt erhob sich der amerikanische Präsident. Seine Rede wurde mit höflichem Interesse aufgenommen, doch kaum mit Begeisterung. Er endete mit den Worten: »Hoffen wir, Viktor, daß dies nur der erste von vielen Besuchen war, mit denen Sie uns in den Vereinigten Staaten erfreuen werden. Im Namen aller unserer Gäste wünsche ich Ihnen morgen einen sicheren Rückflug nach Hause.« Unwillkürlich dachte er, daß zwei Lügen in einem Satz ein bißchen viel waren, selbst für einen Politiker, und er wünschte sich, er wäre dazu gekommen, die Zeilen zu lesen, bevor er die Rede hielt. Er setzte sich, als respektvoller Beifall erklang, der jedoch nicht mit dem Applaus vergleichbar war, den Zerimskij bekommen hatte.
Nach dem Kaffee erhob sich der russische Präsident von seinem Platz und ging zur Flügeltür an der hinteren Seite des Saals. Gleich darauf begann er mit lauter Stimme »gute Nacht« zu wünschen. Es war unmißverständlich, daß er seine Gäste so schnell wie möglich aus dem Haus haben wollte.
Ein paar Minuten nachdem die Uhr in der Botschaft zehn geschlagen hatte, erhob sich Lawrence und wollte zu seinem Gastgeber hinüber. Doch wie Cäsar im Capitol fand er sich plötzlich von allen möglichen Leuten umgeben, die des Kaisers Gewand berühren wollten. Kaum hatte er endlich die Tür erreicht, nickte Zerimskij ihm knapp zu und begleitete ihn die Treppe zum Erdgeschoß hinunter. Da Zerimskij schwieg, betrachtete Lawrence die Nzizvestni-Plastik »Christus am Kreuze«, die man am ersten Treppenabsatz belassen hatte. Jetzt, da Lenin als Statue zurückgekehrt war, wunderte Lawrence sich darüber Am Fuß der Treppe drehte er sich um und wollte seinem Gastgeber zuwinken, doch Zerimskij war bereits in der Botschaft verschwunden. Hätte er sich die Muhe gemacht, Lawrence vor die Eingangstür zu begleiten, hätte er den Spezialagenten gesehen, der gerade in den Fond der Limousine stieg.
Braithwaite redete erst, als die Tür geschlossen war.
»Sie hatten
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