Archer Jeffrey
entwischt war, durfte er nun zweifellos nicht riskieren, ihn aus den Augen zu verlieren. Seine Ohren glühten, sein Gesicht brannte vor Kälte, und er hatte niemanden, der ihm etwas zu essen holen könnte. Jackson bezweifelte, daß er ihn morgen wiedersehen würde.
Sergej kehrte nach wenigen Minuten mit zwei Papiertüten zurück. Eine gab er Jackson. »Big Mac mit Fritten und Ketchup.«
»Warum habe ich bloß das Gefühl, daß Zerimskij McDonalds schließen läßt, falls er Präsident wird?« murmelte Jackson. Er biß von dem Hamburger ab.
»Und ich denken, du brauchen das hier.« Sergej reichte ihm eine mit Kaninchenfell gefütterte Offiziersmütze.
»Das hast du alles für hundert Rubel bekommen?« staunte Jackson.
»Nein, Mütze geklaut«, entgegnete Sergej gleichmütig. »Denken, du das mehr brauchen als Soldat.«
»Du kannst uns beide ins Gefängnis bringen!«
»Du nix Angst haben. In Rußland zwei Millionen Soldaten. Davon Hälfte lange Zeit nix Geld bekommen. Die meisten dir würden verkaufen eigen Schwester für hundert Rubel.«
Jackson probierte die Mütze. Sie paßte wie angegossen.
Keiner sprach, während sie ihr Essen verschlangen, und beide behielten das Restaurant im Auge.
»Sehen Mann mit Prawda auf Bank?«
»Ja«, bestätigte Jackson.
»Er auch in Puschkinmuseum.«
»Du kapierst schnell«, sagte Jackson.
»Du nicht vergessen, ich haben russisch Mutter«, erwiderte Sergej. »Übrigens, zu welche Seite gehören Mann auf Bank?«
»Ich weiß, wer ihn bezahlt, aber ich weiß nicht, auf welcher Seite er ist.«
13
Connor betrat das Lenin-Mausoleum als einer der letzten. Er setzte sich in den hinteren Teil des Raumes, der für die Presse reserviert war, und machte sich so unauffällig wie möglich. Unwillkürlich mußte er an das letzte Mal denken, als er in Rußland eine politische Versammlung besucht hatte. Damals war er ebenfalls gekommen, um sich die Rede des kommunistischen Kandidaten anzuhören, aber das war noch zu der Zeit gewesen, als nur ein einziger Name auf dem Stimmzettel gestanden hatte, was möglicherweise der Grund dafür war, daß lediglich siebzehn Prozent der Bevölkerung am Wahltag ihre Stimmen abgegeben hatten.
Connor schaute sich im Mausoleum um. Obwohl bis zur geplanten Ankunft des Kandidaten noch fünfzehn Minuten vergehen würden, war jeder Platz bereits besetzt, und auf den Gängen standen weitere Teilnehmer. Auf dem Podest vergewisserten sich mehrere Wahlhelfer, daß alles zur Zufriedenheit des Kandidaten vorbereitet war. Ein alter Mann rückte einen fast thronähnlichen Stuhl zurecht.
Die Versammlung der getreuen Parteimitglieder unterschied sich von einer amerikanischen politischen Versammlung wie die Nacht vom Tag. Die Delegierten, falls es sich um solche handelte, trugen billige, schlechtsitzende Anzüge. Sie sahen unterernährt aus und warteten stumm auf Zerimskijs Erscheinen.
Connor senkte den Kopf und kritzelte in seinen Notizblock; er wollte sich ungern in ein Gespräch mit der Journalistin zu seiner Linken einlassen. Sie hatte dem Korrespondenten, der rechts von ihr saß, bereits erzählt, daß sie für die Istanbul News arbeite, die einzige englischsprachigen Zeitung der Türkei, und daß ihr Chefredakteur gesagt habe, es sei eine Katastrophe, sollte Zerimskij Präsident werden. Sie fuhr fort, sie habe ihrer Befürchtung bereits Ausdruck verliehen, daß der kommunistische Kandidat es möglicherweise mit knapper Mehrheit schaffen könne. Hätte sie Connor nach seiner Meinung gefragt, hätte er ihr zustimmen müssen.
Seine Befürchtung, daß er den Auftrag ausführen mußte, wuchs von Stunde zu Stunde.
Wenige Sekunden später begann die türkische Journalistin ein Porträt von Zerimskij zu skizzieren. Offenbar konnte sich ihre Zeitung den Luxus eines Fotografen nicht leisten und verließ sich wahrscheinlich noch auf Nachrichten- und Bildagenturen und das, was diese billig liefern konnten. Connor mußte zugeben, daß ihre Skizze Zerimskijs Aussehen und Charakter treffend wiedergab.
Er schaute sich wieder im Mausoleum um. War ein erfolgreicher Mordanschlag in einem so überfüllten Raum wie dem LeninMausoleum überhaupt möglich? Nicht, wenn man zu entkommen hoffte. Zerimskij zu erschießen, während er in seinem Wagen saß, war eine weitere Möglichkeit, obwohl der Präsidentschaftskandidat bestimmt sehr gut geschützt sein würde. Eine Bombe kam für Connor nicht in Betracht, denn bei derartigen Anschlägen wurden häufig völlig Unbeteiligte getötet, während die
Weitere Kostenlose Bücher