Archer Jeffrey
einer Versammlung des Zentralrats der kommunistischen Partei, vor dem Dimitrij Titow, sein Stabschef, soeben eine einleitende Rede hielt.
»Eine Gruppe ausländischer Beobachter ist in Moskau eingetroffen, um ein Auge auf die Wahlen zu haben. Sie sollen in erster Linie auf Wahlmanipulationen achten, aber ihr Sprecher hat bereits darauf hingewiesen, daß bei einer so zahlreichen und weitgestreuten Wählerschaft kaum alle Unregelmäßigkeiten aufgedeckt werden können.« Titow beendete seine Rede mit dem Hinweis, daß die Mafya noch mehr Geld in Tschernopows Wahlkampf steckte, seit Genosse Zerimskij den zweiten Platz in der Wählergunst errungen hatte.
Zerimskij strich über seinen buschigen Schnurrbart und blickte der Reihe nach jeden an, der am Tisch saß. »Wenn ich Präsident bin«, er erhob sich von seinem Platz am Kopf des Tisches, »werde ich diese Mafya-Hundesöhne einen nach dem anderen ins Gefängnis werfen. Dann werden Steine das einzige sein, was sie für den Rest ihres Lebens zählen.« Die Mitglieder des Zentralrats hatten schon oft gehört, wie ihr Vorsitzender die Mafya verdammte, obwohl er sie namentlich nie in der Öffentlichkeit genannt hatte.
Der stämmige kleine Mann schlug auf den Tisch. »Rußland muß zu den traditionellen Werten zurückkehren, um die der Rest der Welt uns beneidet hat.« Die einundzwanzig Männer am Tisch nickten, obwohl sie diese Worte während der vergangenen Monate bis zum Überdruß gehört hatten.
»Seit zehn Jahren haben wir nichts getan, als jeden Dreck aus Amerika zu importieren und unsere Gesellschaft systematisch zu zerstören.«
Wieder nickten die Anwesenden und hielten den Blick fest auf ihren Vorsitzenden gerichtet.
Jetzt strich Zerimskij durch sein dichtes schwarzes Haar, seufzte und ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen. Er blickte zu seinem Stabschef. »Was steht heute vormittag für mich auf der Tagesordnung?«
»Sie besuchen das Puschkinmuseum«, erwiderte Titow. »Man erwartet Sie dort um zehn Uhr.«
»Sagen Sie ab. Reine Zeitverschwendung. Es sind schließlich nur noch acht Tage bis zur Wahl. «Wieder schlug er auf den Tisch. »Ich sollte draußen auf der Straße sein, wo die Wähler mich sehen können!«
»Aber der Direktor des Museums hat bei der Regierung ein Gesuch um finanzielle Unterstützung eingereicht, um die Werke führender russischer Künstler restaurieren zu können«, sagte Titow.
»Rausgeschmissenes Geld«, brummte Zerimskij.
»Und Tschernopow wurde kritisiert, weil er die öffentlichen Mittel für die schönen Künste einfrieren will«, fuhr der Stabschef fort.
»Na gut, geben wir ihnen fünfzehn Minuten.«
»Und Tschernopow hat Sie vergangene Woche im Fernsehen einen ungebildeten Schläger genannt.«
»Er hat was?« brüllte Zerimskij. »Ich hab’ an der Uni Moskau Jura studiert, als Tschernopow noch Landarbeiter war!« »Das stimmt natürlich, Genosse Vorsitzender«, entgegnete Titow, »aber unsere internen Meinungsumfragen haben ergeben, daß die Wähler nichts davon wissen und deshalb Tschernopows Behauptungen Glauben schenken.«
»Interne Meinungsumfragen? Noch so ein Mist, den wir den Amerikanern zu verdanken haben.«
»Die Umfragen haben Tom Lawrence ins Weiße Haus gebracht.« »Sobald ich gewählt bin, brauche ich keine Meinungsumfragen mehr, um im Amt zu bleiben!«
Connors Liebe zur Kunst war erwacht, als Maggie ihn während ihrer Collegezeit von Galerie zur Galerie geschleift hatte. Anfangs hatte er es nur geduldet, um mehr Zeit in ihrer Gesellschaft verbringen zu können, doch schon nach wenigen Wochen war es ihr gelungen, Connor zu bekehren. Jedesmal, wenn sie in eine andere Stadt reisten, hatte er sie mit Vergnügen in jede Galerie ihrer Wahl begleitet, und sobald sie nach Washington zogen, waren sie Friends of the Corcoran und Members of the Phillips geworden. Während Zerimskij vom Direktor des Puschkinmuseums durch die Räume geführt wurde, mußte Connor sehr darauf achten, daß er sich nicht von den vielen Meisterwerken ablenken ließ und den kommunistischen Parteiführer im Auge behielt.
Bei Connors erstem Besuch in Rußland in den achtziger Jahren war kein hoher Politiker der Öffentlichkeit näher gekommen als bei der Parade am Ersten Mai, wenn die Politbüromitglieder vom Podium auf das jubelnde Volk hinunterschauten. Doch nun, da die Massen ihre Wahl auf Stimmzetteln bekunden konnten, erwies es sich plötzlich als notwendig, daß sich die Kandidaten für das höchste Amt unters Volk begaben, ja sich sogar
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