Archer Jeffrey
Zielperson gar nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wollte Connor eine Chance haben zu entkommen, mußte er sich auf ein Präzisionsgewehr verlassen und Zerimskij an einem öffentlichen Ort erledigen, etwa bei einer Wahlkundgebung, damit er nach der Tat in der Menge untertauchen konnte. Nick Gutenburg hatte ihm versichert, daß eine spezialangefertigte Remington 700 in der US-Botschaft bereitliegen würde, lange ehe er in Moskau eintraf – ein weiterer Mißbrauch der Diplomatenpost. Sobald Lawrence den Einsatzbefehl erteilte, würde man Connor die Wahl von Zeit und Ort überlassen.
Nachdem er Zerimskijs Zeitplan eingehend studiert hatte, entschied Connor sich als erste Alternative für Severodvinsk, wo der Kommunistenführer zwei Tage vor der Wahl bei einer Kundgebung in einer Werft eine Rede halten würde. Connor hatte sich bereits Kräne angesehen, wie sie in russischen Hafenanlagen benutzt wurden, und überlegt, wie lange man sich in einem dieser Kräne verstecken konnte, ohne entdeckt zu werden.
Köpfe drehten sich zur Rückseite des Raumes um. Auch Connor blickte zum Eingang. Eine Gruppe Männer in schlechtsitzenden Anzügen mit Ausbuchtungen unter den Armen füllte den hinteren Teil des Raumes. Sie schauten sich genauestens im Mausoleum um, bevor ihr Parteiführer erschien.
Connor erkannte, daß die Methoden der Leibwächter primitiv und ineffizient waren, doch wie alle Sicherheitskräfte hofften sie wahrscheinlich, daß ihre bloße Anwesenheit und ihre beeindrukkende Zahl jeden einschüchtern und davon abhalten würde, irgend etwas zu versuchen. Connor betrachtete die Gesichter der Sicherheitsleute – auch die drei Profis waren wieder im Einsatz.
Plötzlich brandete im hinteren Teil des Mausoleums Applaus auf, gefolgt von Jubelrufen. Als Zerimskij eintrat, erhoben die Parteimitglieder sich wie ein Mann, um ihrem Präsidentschaftskandidaten zuzujubeln. Selbst die Journalisten sahen sich gezwungen aufzustehen, wollten sie den Einmarsch des Kandidaten verfolgen. Zerimskij s Weg zur Bühne verzögerte sich, weil er immer wieder stehenblieb, um Hände zu schütteln und ein paar Höflichkeitsfloskeln von sich zu geben. Als er die Bühne schließlich erreichte, wurde der Jubel fast ohrenbetäubend.
Der ältliche Vorsitzende, der geduldig vorn am Podest gewartet hatte, führte Zerimskij die Stufen zum thronartigen Stuhl hinauf. Als Zerimskij sich gesetzt hatte, schritt der Alte bedächtig zum Mikrofon, das weiter vorn auf dem Podest stand. Die Anwesenden nahmen ihre Plätze wieder ein, und Stille breitete sich aus.
Die Rede des ältlichen Vorsitzenden, der Zerimskij als den »nächsten Präsidenten Rußlands« vorstellte, war eine ermüdende Angelegenheit. Je länger der Alte sprach, desto unruhiger wurden die Zuhörer. Zerimskijs Gefolge, das hinter ihm stand, wurde sichtlich kribbelig, und aus ihren Gesichtern war Verärgerung zu lesen. Mit einer abschließenden Phrase bezeichnete der alte Mann Zerimskij als »legitimen Erben des Genossen Wladimir Iljitsch Lenin«. Dann trat er zur Seite, um Platz für den Kandidaten zu machen, der nicht den Eindruck machte, als hätte er den Vergleich mit Lenin als sonderlich passend empfunden.
Kaum hatte Zerimskij sich von seinem Platz hinten auf der Bühne erhoben, um langsam nach vorn zu gehen, jubelte die Menge ihm wieder begeistert zu. In Siegerpose warf er die Arme hoch, worauf der Beifall noch lauter wurde.
Connor nahm den Blick keine Sekunde von Zerimskij. Er prägte sich jede seiner Bewegungen ein, seine jeweilige Haltung, seine Posen. Wie alle tatkräftigen Menschen verhielt er sich kaum einen Augenblick still.
Schließlich gab der Kandidat seinen Bewunderern durch einen Wink zu verstehen, daß es nun genug des Jubels sei und daß alle wieder Platz nehmen könnten. Connor prägte sich ein, daß zwischen der Vorstellung des Kandidaten bis zum Beginn seiner Rede gut drei Minuten vergangen waren.
Zerimskij begann erst zu sprechen, als alle ihre Plätze eingenommen hatten und völlige Stille im Raum herrschte.
»Genossen«, begann er mit fester, lauter Stimme. »Es ist mir eine große Ehre, als euer Präsidentschaftskandidat vor euch zu stehen. Mit jedem Tag wird mir deutlicher bewußt, daß das russische Volk einen Neubeginn fordert. Obgleich wenige unserer Bürger sich eine Rückkehr zum alten totalitären Regime der Vergangenheit wünschen, ersehnt sich die Mehrheit doch eine gerechtere Verteilung der Werte, die durch ihr Können und ihre harte Arbeit geschaffen
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