Archer Jeffrey
Lubji, wie die Ankerkette über Bord rasselte. Obwohl das Schiff nun ruhig lag, führte sein Magen sich immer noch so auf, als befänden sie sich auf hoher See.
Nach etwa einer Stunde zog ein Matrose die Eisenstange heraus, die den Lukendeckel gesichert hatte. Augenblicke später vernahm Lubji Stimmen in einer Sprache, die er nie zuvor gehört hatte. Er vermutete, daß es sich um Ägyptisch handelte, und wieder seufzte er erleichtert, daß es nicht Deutsch war. Dann wurde der Lukendeckel abgehoben, und Lubji sah zwei stämmige Burschen, die zu ihm hinunterstarrten.
»Was haben wir denn da?« rief einer, als Lubji verzweifelt die Hände hob.
»Einen deutschen Spion, möchte ich wetten!« entgegnete sein Kamerad mit rauhem Lachen. Der erste lehnte sich über die Luke, faßte Lubjis Arme und zog ihn an Deck, als wäre er ein Sack Weizen. Lubji blieb mit ausgestreckten Beinen vor den beiden sitzen, atmete tief die frische Luft ein und wartete schicksalergeben darauf, ergriffen und wieder ins Gefängnis gesperrt zu werden.
Als sich nichts tat, blickte er auf und blinzelte in die Morgensonne. »Wo bin ich?« fragte er auf tschechisch. Aber die Seeleute verstanden ihn nicht. Er versuchte es auf ungarisch, russisch und schließlich widerstrebend auf deutsch, doch erntete nur Achselzucken und Lachen. Schließlich nahmen ihn die beiden hoch und schleppten ihn fast bis zur Laufplanke, ohne auch nur den geringsten Versuch zu unternehmen, sich in irgendeiner Sprache mit ihm zu verständigen.
Lubjis Füße berührten kaum den Boden, als die Matrosen ihn von Bord des Schiffes hinunter zur Anlegestelle und von dort zu einem weißen Gebäude am entgegengesetzten Ende des Kais zerrten. Über der Tür standen Worte in Blockschrift, die dem illegalen Einwanderer rein gar nichts sagten: HAFENPOLIZEI – LIVERPOOL, ENGLAND.
ST. ANDY 12. September 1945
Die Morgenröte einer neuen Republik
»SCHLUSS MIT DEN EHRENTITELN!« lautete die Schlagzeile der dritten Ausgabe des St. Andy.
Nach Meinung des Redakteurs waren diese sogenannten Ehrungen nichts anderes als ein bequemer Vorwand für nicht mehr ganz taufrische Politiker, sich selbst und ihren Freunden Titel zu verleihen, derer sie nicht würdig waren.
Ehrentitel werden stets an Personen verliehen, die sie gar nicht verdienen. Diese ärgerliche Zurschaustellung persönlicher Eitelkeiten ist nur eines von vielen Beispielen für die letzten Zuckungen eines Kolonialreichs, dem bei der erstbesten Gelegenheit der Todesstoß versetzt werden sollte. Wir müssen dieses antiquierte politische System endlich in die Mülltonne der Geschichte werfen.
Mehrere Klassenkameraden schrieben an den verantwortlichen Redakteur und erinnerten ihn daran, daß sein Vater es keineswegs abgelehnt habe, in den Adelsstand erhoben zu werden. Und diejenigen, die mit der Geschichte besser vertraut waren, fügten hinzu, daß der letzte Satz einem Aufruf für eine Sache von wesentlich größerer Bedeutung entnommen war.
Diesmal konnte Keith die bei der wöchentlichen Lehrerversammlung geäußerte Meinung des Direktors nicht erfahren, da Penny ihn weder eines Blickes und schon gar keines Wortes mehr würdigte. Duncan Alexander und andere bezeichneten ihn als Verräter. Doch zum Ärger aller schien es Keith nicht zu berühren, welche Meinung andere von ihm hatten.
Im Laufe des Trimesters fragte er sich, was wahrscheinlicher war: die Einberufung zum Wehrdienst oder ein Studienplatz in Oxford. Ungeachtet seiner Befürchtungen stellte er die nachmittägliche Arbeit für den Courier ein, um mehr Zeit für seine Studien zu haben. Er verdoppelte seine Bemühungen sogar, als sein Vater versprach, ihm einen Sportwagen zu schenken, falls er die Abschlußprüfungen bestand. Die Vorstellung, es dem Direktor zu beweisen und einen eigenen Wagen zu haben, war unwiderstehlich. Miss Steadman, die Keith weiterhin während der langen dunklen Abende Nachhilfeunterricht erteilte, schien unter ihrer doppelten Belastung aufzublühen.
Als Keith für sein letztes Trimester nach St. Andrews zurückkehrte, war er bereit, sich sowohl den Prüfern wie dem Direktor zu stellen: Bei der Spendenaktion für den neuen Pavillon fehlten nur noch ein paar hundert Pfund. Keith beschloß, in seiner letzte Ausgabe des St. Andy den Erfolg der Spendenaktion zu verkünden. Er hoffte, daß der Direktor es sich dann dreimal überlegen würde, wegen eines Artikels in der nächsten Ausgabe, in dem die Abschaffung der Monarchie vorgeschlagen wurde, irgendwelche
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