Archer Jeffrey
der dem Tribunal diese unglaubliche und fesselnde Geschichte aufgetischt hatte, was ihm alles widerfahren war, ehe er sich als blinder Passagier nach Liverpool durchschlagen konnte? Nun erzählte er genau dieselbe Geschichte, und trotz einiger grammatikalischer Fehler und einem grauenhaften Liverpooler Akzent hatte sie eine noch größere Wirkung auf das Tribunal als bei der ersten Befragung.
»Und was würden Sie jetzt gern tun, Hoch?« fragte der Vorsitzende, als der junge Tscheche seine Geschichte beendet hatte.
»Ich möchte Soldat werden und mein Teil zu Sieg in Krieg beitragen«, war Lubjis einstudierte Antwort.
»Das dürfte sich nicht als so einfach erweisen, Hoch.« Der Vorsitzende lächelte väterlich zu ihm hinunter.
»Wenn Sie mir nix Gewehr geben wollen, töte ich Nazis mit bloße Hände«, sagte Lubji herausfordernd. »Geben Sie mir Chance, mich zu bewähren.«
Der Vorsitzende lächelte ihn wieder an, bevor er dem diensthabenden Sergeanten zunickte, der kurz stramm stand und Lubji dann aus dem Saal führte.
Lubji erfuhr die Entscheidung des Tribunals erst nach einigen Tagen. Er lieferte gerade die Morgenzeitung im Offiziersquartier aus, als ein Corporal herbeikam und ohne jegliche Erklärung sagte: »Hoch, Sie sollen zum Kommandanten kommen.«
»Wann?« erkundigte sich Lubji.
»Jetzt«, antwortete der Corporal, drehte sich wortlos um und marschierte los. Lubji legte die restlichen Zeitungen auf den Boden; dann eilte er dem Corporal hinterher, als dieser durch den Morgennebel quer über den Exerzierplatz in Richtung Bürobaracke marschierte. Beide hielten gleichzeitig vor einer Tür an, auf der »Kommandant« zu lesen war.
Der Corporal klopfte an. Als er »Herein!« hörte, öffnete er die Tür, marschierte ins Zimmer, nahm vor dem Schreibtisch des Majors Haltung an und salutierte.
»Hoch, wie befohlen, zur Stelle, Sir«, meldete er so laut, als würde er sich auf dem Exerzierplatz befinden. Lubji blieb dicht hinter dem Corporal stehen und wurde fast angerempelt, als dieser einen Schritt zurück machte.
Lubji starrte auf den Offizier, der in seiner maßgeschneiderten Uniform hinter dem Schreibtisch saß. Zwar hatte er ihn schon zweimal gesehen, jedoch aus ziemlicher Entfernung. Nun stand Lubji ebenfalls stramm und legte zackig die Hand an die Schläfe, wie er es beim Corporal gesehen hatte. Der Kommandant blickte kurz zu ihm auf; dann wandte er sich wieder dem einzelnen Blatt Papier zu, das vor ihm lag.
»Hoch«, begann er, »Sie werden von hier zu einem Ausbildungslager in Staffordshire versetzt, wo Sie als Armeehelfer im Pionierkorps aufgenommen werden.« »Jawohl, Sir!« rief Lubji glücklich.
Der Colonel hob den Blick nicht von dem Papier. »Sie werden morgen früh um sieben Uhr mit dem Bus das Lager verlassen.«
»Jawohl, Sir!«
»Zuvor werden Sie sich in der Schreibstube melden, wo Ihnen der Diensthabende alle erforderlichen Papiere sowie eine Fahrkarte aushändigen wird.«
»Jawohl, Sir!«
»Noch irgendwelche Fragen, Hoch?«
»Jawohl, Sir. Tötet das Pionierkorps Nazis?«
»Nein, Hoch.« Der Colonel lachte. »Aber man erwartet von Ihnen, daß Sie die Männer, die Nazis töten, mit Ihren unermeßlichen Kenntnissen und Erfahrungen unterstützen.«
Lubji kannte zwar das Wort ›messen‹, wußte aber nicht so recht, was er sich unter ›unermeßlich‹ vorstellen sollte. Er nahm sich vor, das Wort sobald wie möglich nachzuschlagen.
Am Nachmittag meldete er sich, wie befohlen, auf der Schreibstube und erhielt seine Papiere, die Militärfahrkarte und zehn Shilling. Er packte seine paar Sachen zusammen; dann schritt er zum letztenmal den Hügel hinunter, um Mrs. Sweetman für alles zu danken, was sie in den vergangenen sieben Monaten für ihn getan hatte, damit er Englisch lernen konnte. Lubji schlug das neue Wort im Taschenlexikon unter dem Ladentisch nach; dann versicherte er Mrs. Sweetman, ihre Hilfe sei unermeßlich für ihn gewesen. Die alte Dame wollte dem hochgewachsenen jungen Ausländer lieber nicht eingestehen, daß er ihre Sprache jetzt besser beherrschte als sie.
Am nächsten Morgen nahm Lubji den Bus zum Bahnhof – früh genug, um den Sieben-Uhr-zwanzig-Zug nach Stafford zu erreichen. Als er nach dreimaligem Umsteigen und mehreren Verzögerungen endlich dort eintraf, kannte er die Times in- und auswendig.
Am Bahnhof von Staffbrd wartete ein Jeep auf Lubji. Hinter dem Lenkrad saß ein Gefreiter des North Staffordshire Regiment, der so piekfein aussah, daß Lubji ihn mit »Sir« anredete.
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