Archer Jeffrey
ein Konzert.« Sie bewunderte nur noch kurz Tommys Gemälde, lächelte und verließ mich. Plötzlich war ich wieder allein.
Ich zog meine Jacke aus, krempelte die Ärmel hoch, ging hinunter in den Laden und stellte ein paar Stunden lang um, bis ich alles genau da hatte, wo ich es wollte. Als ich die letzte Kiste weggeräumt hatte, war ich so erschöpft, daß ich knapp davor war, mich angezogen auf das Bett fallen zu lassen und gleich einzuschlafen. Die Vorhänge ließ ich offen, damit ich um vier aufwachen würde.
Am Morgen zog ich mich rasch an und konnte es kaum erwarten, auf den Markt zu kommen, den ich seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ich kam ein paar Minuten vor Bob Makins in Covent Garden an und stellte rasch fest, daß der Junge sich auskannte, aber wohl doch nicht alles in Betracht zog. Mir war klar, daß ich ein paar Tage brauchen würde, bis ich dahinterkam, welche Händler von den verläßlichsten Farmern beliefert wurden, wer gute Verbindung zu den Häfen hatte, wer regelmäßig zu vernünftigen Preisen anbot, mit wem man rechnen konnte, auch wenn einmal etwas allgemein knapp war. Bob schienen keine dieser Probleme zu interessieren, während er über den Markt schlenderte und seine Waren einkaufte.
Ich war vom ersten Morgen an – meinem ersten Morgen –, als wir öffneten, in den Laden verliebt. Es dauerte eine Zeitlang, mich daran zu gewöhnen, daß Bob und die Mädchen mich mit »Sir« anredeten, aber sie brauchten zumindest ebenso lang, sich an den neuen Platz des Ladentischs zu gewöhnen und daran, daß sie Ware in Kisten vor den Laden stellen sollten, ehe die Kundschaft noch wach war. Doch sogar Becky gab mir recht, daß es eine gute Idee war, ein Anreiz für Passanten, nur wußte sie nicht so recht, wie die Aufsichtsbehörde des Stadtteils darauf reagieren würde, wenn sie davon erfuhr.
»Hat Chelsea etwa noch nie etwas von Straßenverkauf gehört?« fragte ich.
Innerhalb eines Monats kannte ich den Namen jedes Stammkunden, innerhalb von zweien wußte ich, was sie mochten und was nicht, und kannte ihre Eigenheiten und Spleens, die sie wahrscheinlich für einmalig hielten. Nachdem das Personal Feierabend gemacht hatte, setzte ich mich gern auf die Bank gegenüber dem Laden und beobachtete, was in der Chelsea Terrace SW 3 vorging. Ich erkannte bald, daß ein Apfel ein Apfel war, egal wer davon abbeißen wollte, und Chelsea Terrace unterschied sich nicht von Whitechapel, wenn es darum ging, Kundenbedürfnisse zu verstehen. Ich glaube, das war der Augenblick, als ich daran dachte, mir einen zweiten Laden zuzulegen. Warum auch nicht? Trumper war das einzige Geschäft in der Chelsea Terrace, bei dem die Kundschaft regelmäßig bis auf den Bürgersteig Schlange stand.
Becky ging weiterhin fleißig ihrem Studium nach und versuchte immer wieder, mich zu einem gemeinsamen Dinner mit ihr und ihrem vornehmen Freund zu überreden. Um ehrlich zu sein, ich legte nicht den geringsten Wert darauf, Trentham zu begegnen, weil ich nach wie vor überzeugt war, daß er Tommy erschossen hatte.
Aber schließlich gingen mir die Ausreden aus, und ich nahm die Einladung an.
Als Becky mit ihrer Freundin, bei der sie wohnte, und Trentham das Restaurant betrat, wünschte ich, ich hätte es mir doch noch anders überlegt. Trentham ging es wohl genauso, denn sein Gesicht verriet ebensolche Abneigung, wie ich sie empfand. Beckys Freundin dagegen, Daphne Harcourt-Browne mit Namen, war sehr nett. Sie war ein hübsches Mädchen, und ich konnte mir vorstellen, daß sich viele Männer in ihr herzhaftes Lachen verliebten. Aber blauäugige, lockenköpfige Blondinen waren nie mein Typ gewesen.
Jedenfalls versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, und tat, als wären Trentham und ich uns noch nie begegnet.
Es war einer der schlimmsten Abende meines Lebens, und ich hätte Becky gern alles erzählt, was ich über diesen Hundesohn wußte, aber so verliebt, wie sie sichtlich in ihn war, hätte wahrscheinlich nichts sie beeinflussen können. Es trug auch nicht zu meiner Stimmung bei, daß Becky mich mißbilligend anblickte. Ich senkte den Kopf und schaufelte mit dem Messer noch ein paar Erbsen auf die Gabel.
Beckys Zimmergenossin, Daphne, tat ihr Bestes, aber mit uns dreien als Publikum hätte sogar Charlie Chaplin keinen Erfolg gehabt.
Kurz nach elf ließ ich mir die Rechnung geben, und Minuten später verließen wir das Restaurant. Ich sorgte dafür, daß Becky und Trentham vorausgingen, weil ich hoffte, das würde mir
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