Archer Jeffrey
Gelegenheit geben, mich davonzustehlen, doch zu meiner Überraschung blieb Daphne an meiner Seite und behauptete, es interessiere sie, welche Veränderungen ich im Laden vorgenommen hatte.
Gleich aus ihrer ersten Frage, als ich die Ladentür aufschloß, wurde mir klar, daß ihr nicht viel entging.
»Sie lieben Becky, nicht wahr?« fragte sie ruhig.
»Ja«, antwortete ich offen und gab meine Gefühle zu, wie ich es jemandem gegenüber, den ich besser kannte, nie getan hätte.
Ihre zweite Frage erstaunte mich noch mehr. »Und wie lange kennen Sie Guy Trentham schon?«
Als wir die Treppe zu meiner kleinen Wohnung hinaufstiegen, erzählte ich ihr, daß wir gemeinsam an der Westfront gekämpft, daß sich unsere Wege aber des Rangunterschieds wegen selten gekreuzt hatten.
»Warum hassen Sie ihn dann so sehr?« fragte sie, nachdem sie sich mir gegenüber niedergesetzt hatte.
Wieder zögerte ich, doch da wurde die Erinnerung zu lebendig und in meiner plötzlich unbeherrschbaren Wut beschrieb ich ihr, was Tommy und mir geschehen war, als wir versuchten, in die Sicherheit unserer eigenen Linie zu gelangen, und daß ich überzeugt war, daß Guy Trentham meinen besten Freund umgebracht hatte.
Als ich geendet hatte, saßen wir eine Weile schweigend, bis ich bat: »Sie dürfen Becky auf keinen Fall davon erzählen, denn ich habe keinen echten Beweis.«
Sie nickte und gestand, daß es ihre Schuld war, daß die beiden sich überhaupt kennengelernt hatten, und sie dies schon die ganze Zeit bereue. »Aber ehrlich gesagt«, fuhr sie fort, »wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, daß jemand, der so vernünftig ist wie Becky, auf einen Angeber wie Guy hereinfallen könnte.«
Und dann erzählte sie mir von dem einzigen Mann in ihrem Leben, als wolle sie mit diesem Geheimnisaustausch unsere Freundschaft besiegeln. Ihre Liebe zu diesem Mann war so unverkennbar, daß es mich rührte. Und als Daphne gegen Mitternacht ging, versprach sie, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, Guy Trentham zu eliminieren.
Ich erinnere mich genau, daß sie das Wort »eliminieren« benutzte, weil ich sie fragen mußte, was es bedeutete. Sie erklärte es, und ich erhielt meine erste Unterrichtsstunde von ihr, nachdem sie mich darauf hingewiesen hatte, daß ich viel lernen müsse, um aufzuholen, denn Becky hatte die letzten zehn Jahre nicht geschlafen.
Bei meiner zweiten Unterrichtsstunde wurde mir klar, weshalb Becky mich im Restaurant so oft mißbilligend angesehen hatte. Ich hätte mich geärgert, wenn mir nicht bewußt geworden wäre, daß sie recht hatte.
Während der nächsten Monate waren Daphne und ich viel zusammen, ohne daß Becky den wirklichen Grund dafür auch nur ahnen konnte. Daphne brachte mir soviel über die Welt meiner neuen Kunden bei und führte mich sogar in Modegeschäfte, Kinos und in ein West-End-Theater zu Stücken wie Lady Windermere’s Fächer und Volpone. Bei keinem kamen Revuegirls auf die Bühne, aber sie gefielen mir trotzdem. Zu einem ließ ich mich allerdings nicht überreden: daß ich an den Samstagnachmittagen wegen eines Teams, das sie die Harlequins nannte, West Harn sausen ließ. Daß sie mich mit der National Gallery und ihren fünftausend Gemälden bekanntmachte, führte zu einer Leidenschaft, die sich als nicht weniger kostspielig erweisen sollte als die zu einer Frau. Und schon wenige Monate später zerrte ich Daphne zu den neuesten Ausstellungen: Renoir, Manet und sogar zu der eines jungen Spaniers namens Picasso, der gerade anfing, in Londons feiner Gesellschaft Beachtung zu finden. Ich hoffte, Becky würde auffallen, daß ich mich veränderte, doch für sie gab es nur Captain Trentham.
Daphne bestand auch darauf, daß ich zwei Tageszeitungen las. Sie wählte den Daily Express und die News Chronicle für mich aus, und hin und wieder, wenn sie mich in den Lowndes Square eingeladen hatte, vertiefte ich mich auch in ihre Magazine, wie Punch oder Strand. Ich erfuhr allmählich, wer wer und was war und wer was wem tat. Ich ging zum erstenmal zu Sotheby’s und war dabei, als ein früher Constable unter den Hammer kam und den Rekordpreis von neunhundert Guineen erzielte. Das war mehr Geld, als Trumper mitsamt seinem ganzen Inventar wert war. Ich muß jedoch gestehen, daß ich weder diese herrliche Landschaft noch irgendwelche anderen Gemälde in irgendeiner Galerie oder einem Auktionshaus für Tommys Madonnenbild eingetauscht hätte, das immer noch über meinem Bett hing.
Als Becky im Januar 1920 den Jahresabschluß mit
Weitere Kostenlose Bücher