Archer Jeffrey
die ganze Nacht wach, weil ich überlegte, was ich sonst tun könnte, um ihr das Gefühl zu geben, daß ich ihrer würdig war.
Die Wochen vergingen, und Daphne und ich kümmerten uns immer mehr um Becky, die von Tag zu Tag einem gestrandeten Wal immer ähnlicher wurde. Von Indien war immer noch keine Post gekommen, doch schon lange vor der Niederkunft hatte sie aufgehört, Trenthams Namen auch nur zu erwähnen.
Als ich Becky zum erstenmal Daniel in den Armen halten sah, wünschte ich mir, sein Vater zu sein, und war überglücklich, als sie sagte, sie hoffte, daß ich sie noch liebe.
Und ob ich sie noch liebte!
Eine Woche später ließen wir uns trauen, und der Colonel, Bob Makins und Daphne erklärten sich einverstanden, Taufpaten zu werden. Im Sommer darauf heirateten auch Daphne und Percy, nicht wie wir auf dem Standesamt von Chelsea, sondern in der St. Margaret’s Church in Westminster. Ich hielt dort die Augen nach Mrs. Trentham offen, nur weil es mich interessierte, wie sie aussah, doch dann erinnerte ich mich, daß Percy erwähnt hatte, daß sie nicht eingeladen worden war.
Daniel wuchs und gedieh, und ich war gerührt, daß sein erstes Wort, das er laufend wiederholte, »Papa« war. Trotzdem fragte ich mich, wieviel Zeit uns noch blieb, ehe wir dem Jungen die Wahrheit sagen mußten. »Bastard« ist ein so gemeines Wort für ein unschuldiges Kind, und an dem Makel, unehelich geboren zu sein, würde er sein Leben lang tragen müssen.
»Darüber brauchen wir uns noch lange nicht den Kopf zu zerbrechen«, sagte Becky immer wieder. Doch das hielt mich nicht davon ab, mir Sorgen über die möglichen Folgen zu machen, wenn wir noch viel länger warteten. Schließlich kannten die meisten Leute in Chelsea Terrace die Wahrheit.
Sal schrieb aus Toronto, um uns zu gratulieren und mir mitzuteilen, daß sie selbst keine weiteren Kinder mehr haben wolle. Drei Mädchen – Susan, Maureen und Babs – und zwei Jungen –David und Rex – erschienen ihr genug, selbst für eine gute Katholikin. Ihr Mann, schrieb sie, war zum Bezirks Vertreter von E. P. Taylor befördert worden, und es ging ihnen im großen und ganzen recht gut. In ihren Briefen stand nie, daß sie Heimweh oder Sehnsucht nach ihrem Geburtsland hätte, ja, sie erwähnte England überhaupt nicht. Das konnte ich ihr nicht einmal verdenken, denn ihre einzige wirkliche Erinnerung an zu Hause war wohl, daß sie mit zwei Schwestern in einem Bett hatte schlafen müssen, daß ihr Vater ein Trinker gewesen und daß nie genug zu essen dagewesen war, daß man hätte nachfassen können.
Sie schalt mich, weil ich ihr nicht halb sooft schrieb wie Grace. Ich könnte ihr nicht mit der Ausrede kommen, daß ich zuviel arbeiten mußte, fügte sie hinzu, denn als Stationsschwester in einem Londoner Lehrkrankenhaus hatte Grace bestimmt noch weniger Freizeit als ich. Nachdem Becky den Brief gelesen hatte und dem zustimmte, schrieb ich Sal in den nächsten Monaten tatsächlich öfter.
Kitty besuchte mich regelmäßig, doch nur, damit ich ihr Geld gab, und jedesmal wollte sie mehr. Und sie achtete immer darauf, daß Becky nicht in der Nähe war, wenn sie unangemeldet erschien. Die Beträge, die sie mir entlockte, waren zwar unverschämt, aber gerade tragbar.
Ich bat Kitty, sich einen Job zu suchen, ja bot ihr selbst einen an, aber sie erklärte mir, daß Arbeit und sie einfach nicht zusammenpaßten. Unsere Gespräche dauerten selten länger als ein paar Minuten, denn kaum hatte ich ihr Geld gegeben, war sie schon wieder verschwunden. Mir wurde klar, daß es mit jedem Laden, den ich eröffnete, schwerer werden würde, Kitty zu überzeugen, daß sie eine Familie gründen und ein normales Leben führen sollte. Und als Becky und ich in unser neues Haus in der Gilston Road gezogen waren, überfiel sie mich sogar noch öfter.
Trotz Syd Wrexalls Anstrengungen, mir einen Strich durch mein Vorhaben zu machen, jedes Geschäft aufzukaufen, das in der Terrace zu haben war, glückte es mir, sieben zu erstehen, ehe es zu wirklichem Widerstand kam. Ich hatte jetzt mein Auge auf Nummer 25 bis 99 geworfen – ein riesiges Wohngebäude, das ich zu kaufen beabsichtigte, ehe Wrexall herausbekommen würde, was ich vorhatte –, ganz zu schweigen von meinem Wunsch, Chelsea Terrace 1 zu erstehen, das durch seine Lage für meinen langfristigen Plan, Besitzer des gesamten Blocks zu werden, entscheidend war.
Während des Jahres 1922 ging alles glatt, und ich freute mich schon auf Daphnes Rückkehr aus ihren
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