Archer Jeffrey
Kindermädchen das protestierende Kind packte und es zurück nach oben ins Kinderzimmer trug. Charlie öffnete den Deckel seiner Taschenuhr. Es war zwar noch nicht ganz acht, aber er wollte nicht länger warten. Er ging hinaus in die Diele, griff nach dem Stabtelefon und ließ sich vom Amt mit Kensington 1279 verbinden. Kurz darauf wurde er durchgestellt.
»Dürfte ich mit dem Colonel sprechen?«
»Ich sage ihm, daß Sie am Apparat sind, Mr. Trumper«, kam die Antwort. Charlie mußte bei dem Gedanken lächeln, daß es ihm offenbar nie gelingen würde, seinen Akzent am Telefon ganz loszuwerden.
»Guten Morgen, Charlie«, vernahm er einen anderen Akzent, der für ihn unverkennbar war.
»Ich wollte nur fragen, ob ich bei Ihnen vorbeikommen dürfte, Sir.«
»Selbstverständlich«, versicherte ihm der Colonel. »Aber könnten Sie bis zehn Uhr warten, alter Junge? Bis dahin wird Elizabeth unterwegs zu ihrer Schwester nach Camden Hill sein!«
»Ich werde Punkt zehn bei Ihnen sein«, versprach Charlie.
Nachdem er aufgehängt hatte, beschloß er, die zwei Stunden für eine volle Runde durch seine Läden zu nutzen. Ein zweites Mal an diesem Morgen, während Becky immer noch schlief, begab er sich zur Chelsea Terrace.
Charlie holte sich Mr. Arnold aus dem Haushaltswarengeschäft, um sich mit ihm kurz in allen elf Geschäften umzusehen. Er erklärte seinem Stellvertreter die Einzelheiten seiner Pläne, das Wohngebäude durch sechs neue Läden zu ersetzen.
Als sie aus Nummer 129 herauskamen, sagte Charlie, daß er sich Sorgen wegen des Spirituosengeschäfts machte, weil es noch immer keinen Gewinn einbrachte, obwohl sie auch hier den neuen Zustelldienst eingeführt hatten, der ursprünglich nur für Obst und Gemüse gedacht gewesen war.
Charlie war stolz darauf, daß seine Läden zu den ersten gehörten, die telefonisch Bestellungen entgegennahmen und noch am selben Tag lieferten. Auch das war eine Idee, die er den Amerikanern abgeschaut hatte, und je mehr er über die Geschäftsmethoden in den Staaten las, desto interessierter wurde er an einem Besuch dort, um mit eigenen Augen zu sehen, wie man es da drüben anging.
Er konnte sich gut an seinen ersten Lieferdienst erinnern, als sein Gefährt Großvaters Karren gewesen war und sein Bote Kitty. Jetzt hatte er einen schönen blauen 3-PS-Lieferwagen, an dessen beiden Seiten die Aufschrift in blauen Buchstaben prangte: ›TRUMPER, DER EHRLICHE HÄNDLER. Gegründet 1823.‹
An der Ecke der Chelsea Terrace blieb er stehen und blickte auf das eine Geschäft, das Chelsea mit seinem wuchtigen Erkerfenster und der großen Flügeltür immer dominieren würde. Er glaubte nicht, daß er noch lange warten müßte, ehe er Mr. Fothergill einen großen Scheck vorlegen könnte, der die Schulden des Auktionators decken würde. Ein ehemaliger Angestellter von Nummer 1 hatte ihm erst vor kurzem erzählt, daß sich die Schulden bereits auf über zweitausend Pfund beliefen.
Charlie marschierte hinein, um eine viel kleinere Rechnung zu bezahlen, und fragte das Mädchen hinter dem Ladentisch, ob sein Madonnenbild fertig sei. Er hatte es zum Neurahmen hergebracht, und es hätte bereits vor drei Wochen fertig sein sollen.
Er beschwerte sich nicht über die Verzögerung, denn das gab ihm die Möglichkeit, sich unauffällig umzusehen. Die Tapete neben dem Eingang löste sich, und außer dem Mädchen war kein Personal zu sehen, woraus Charlie schloß, daß kein Geld für Gehälter da war.
Mr. Fothergill brachte schließlich persönlich das kleine Ölgemälde im neuen vergoldeten Rahmen und händigte es Charlie aus.
»Vielen Dank«, sagte Charlie, als er auf die kühnen PinselStriche in Rot- und Blautönen blickte, und ihm wurde bewußt, wie sehr es ihm gefehlt hatte.
»Ich frage mich, was es wert ist«, sagte er beiläufig zu Fothergill, während er mit einem Zehnshillingschein bezahlte.
»Ein paar Pfund im Höchstfall«, antwortete der Sachverständige und zupfte an seiner Fliege. »Drüben auf dem Kontinent gibt es unzählige Bilder mit diesem Motiv von unbekannten Malern.«
»Ich weiß nicht«, murmelte Charlie. Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr und schob die Quittung in die Hosentasche. Er hatte sich genug Zeit für einen gemächlichen Spaziergang durch Princess Gardens und weiter zum Haus des Colonels gelassen, um wenige Minuten vor zehn dort anzukommen. Er wünschte Mr. Fothergill »guten Morgen« und ging.
Obgleich es noch verhältnismäßig früh war, herrschte reges Leben in Chelsea, und
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