Archer Jeffrey
seine Kinder in der Schule vor Übergriffen nicht mehr sicher waren.
Charlie lauschte Mr. Schuberts Erlebnissen unter den Nazis, ohne ihn zu unterbrechen. Die Flucht des Mannes und seine Beschreibung der Vorgänge in Deutschland hätten geradewegs aus einem Roman von John Buchan kommen können und waren viel anschaulicher als irgendwelche Zeitungsberichte in den vergangenen Monaten.
»Wie kann ich Ihnen helfen?« fragte Charlie schließlich, als Mr. Schubert mit seiner traurigen Geschichte zu Ende zu sein schien.
Der Flüchtling lächelte zum erstenmal, wobei er zwei Goldzähne entblößte. Er griff nach dem Köfferchen, das er neben sich abgestellt hatte, und öffnete es. Charlie starrte auf die schönste Kollektion von Steinen, die er je gesehen hatte, Brillanten und Amethyste, einige davon in prächtigen Fassungen. Dann hob sein Besucher das Fach heraus, und darunter füllten lose Steine – Rubine, Topase, weitere Brillanten, Perlen und Jade –jeden Zentimeter des tieferen Kofferfachs.
»Sie sind nur ein geringer Teil dessen, was ich in unserem Geschäft zurücklassen mußte, das mein Großvater und mein Vater aufbauten. Jetzt muß ich alles, was uns blieb, verkaufen, um meine Familie am Leben zu erhalten.«
»Sie waren Juwelier?«
»Sechsundzwanzig Jahre lang«, antwortete Mr. Schubert. »Von frühester Jugend an.«
»Und wieviel möchten Sie für das alles?« Charlie deutete auf das offene Köfferchen.
»Dreitausend Pfund«, antwortete Mr. Schubert, ohne zu zögern. »Das ist weit unter dem eigentlichen Wert, aber ich habe nicht mehr die Zeit, noch den Willen, zu handeln.«
Charlie öffnete die rechte Schublade, zog ein Scheckbuch heraus und stellte einen Scheck über dreitausend Pfund auf Mr. Schubert aus. Er schob ihn über den Schreibtisch.
»Aber Sie haben doch noch nicht einmal den Wert schätzen lassen!«
»Nicht nötig«, antwortete Charlie und stand auf. »Denn Sie selbst werden sie verkaufen – als der neue Geschäftsführer meines Juwelierladens. Was auch bedeutet, daß Sie es mir persönlich erklären müssen, wenn sie nicht den Preis einbringen, den sie Ihrer Behauptung nach wert sind. Nachdem Sie den Kredit, den ich Ihnen hiermit gewähre, zurückbezahlt haben, unterhalten wir uns über Ihre Provision.«
Ein Lächeln zog über Mr. Schuberts Gesicht. »Sie müssen im East End eine gute Schule durchgemacht haben, Mr. Trumper.«
»Es gibt dort eine Menge Leute wie Sie, die dafür sorgen.« Charlie grinste. »Mein Schwiegervater war einer davon.«
Ben Schubert stand auf und umarmte seinen neuen Chef.
Womit Charlie nicht gerechnet hatte, war, daß viele jüdische Flüchtlinge ihren Weg zu Trumpers Juwelierladen fanden und Geschäfte mit Mr. Schubert machten, die dazu führten, daß Charlie sich nie wieder Sorgen wegen dieses Ladens machen mußte.
Etwa eine Woche später stürmte Tom Arnold, ohne anzuklopfen, in das Büro des Vorsitzenden. Charlie sah, wie erregt er war, deshalb fragte er nur: »Wo ist das Problem?«
»Ladendiebstahl.«
»Wo?«
»Nummer 133 – Damenmoden.«
»Was wurde gestohlen?«
»Zwei Paar Schuhe und ein Rock.«
»Dann unternehmen Sie die üblichen Schritte nach unseren
Firmenregeln. Als erstes rufen Sie die Polizei.«
»Das ist nicht so einfach.«
»Natürlich ist es so einfach. Eine Diebin ist eine Diebin.« »Aber sie behauptet …«
»Daß ihre Mutter neunzig ist und unter Krebs leidet, ganz
davon zu schweigen, daß ihre Kinder alle Krüppel sind?« »Nein, daß sie Ihre Schwester ist.«
Charlie rutschte in seinem Sessel zurück und seufzte
schwer. »Was haben Sie getan?«
»Noch nichts. Ich sagte dem Geschäftsführer, er soll sie
festhalten, bis ich mit Ihnen geredet habe.«
»Dann wollen wir uns darum kümmern«, sagte Charlie. Er
stand auf und marschierte zur Tür.
Keiner der beiden Männer sagte ein Wort, bis sie Nummer
133 erreicht hatten, wo der Geschäftsführer sie schon aufgeregt
am Eingang erwartete.
»Tut mir leid, Mr. Trumper«, sagte er.
»Schon gut, Jim«, beruhigte ihn Charlie, als der
Geschäftsführer ihn zu dem Hinterzimmer führte. Kitty saß mit einer Puderdose in der Hand an einem Tisch und überprüfte
ihren Lippenstift im Spiegel.
Als sie Charlie sah, klappte sie die Puderdose zu und ließ sie
in ihre Handtasche fallen. Vor ihr auf dem Tisch lagen zwei
paar modische Lederschuhe und ein violetter Plisseerock.
Offenbar hatte Kitty immer noch einen teuren Geschmack. Sie
lächelte zu ihrem Bruder hoch, aber auch der Lippenstift
machte das Lächeln
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