Archer Jeffrey
und zog das Schreiben heraus. Es begann:
Sehr geehrte Miss Ross,
Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen …
Den einzigen Nutzen, den ich aus der vielen Extraarbeit ziehen konnte, war, daß ich mich für die Abschlußprüfungen nicht mehr anstrengen mußte und mit Auszeichnung bestand. Aber dadurch war ich England nicht um ein Stück näher gekommen.
In meiner Verzweiflung rief ich in der britischen High Commission an und wurde mit der Stellenvermittlung verbunden, wo mich eine Frauenstimme informierte, daß sie mir bei meinen Qualifikationen mehrere Lehrerstellen anbieten könnte. Sie fügte jedoch hinzu, daß ich einen Dreijahresvertrag unterzeichnen und die Überfahrt selbst bezahlen müßte. Tolles Angebot, wenn man sich nicht einmal eine Fahrt nach Sydney leisten konnte, geschweige denn nach England! Ganz abgesehen davon glaubte ich, daß mir ungefähr ein Monat genügen würde, Guy Francis Trentham dort drüben aufzuspüren.
Die einzigen anderen Jobs, die sie vermitteln könnte, erklärte mir dieselbe Dame, als ich ein zweites Mal anrief, würden von manchen als »Sklavenhandel« bezeichnet. Es ging dabei um Hilfsarbeit in Hotels, Krankenhäusern oder Altenheimen, wo man ein Jahr lang kaum Lohn bekam, bis die Reisekosten nach England und zurück gedeckt waren. Da ich immer noch keine Pläne für eine bestimmte Laufbahn hatte und da mir klar wurde, daß dies so gut wie die einzige Chance für mich war, je nach England zu gelangen, um jemanden zu finden, mit dem ich verwandt war, ließ ich mir den Arbeitsvertrag schicken und sandte ihn unterschrieben zurück. Die meisten meiner Freunde auf der Universität sagten mir auf den Kopf zu, daß ich einen Dachschaden haben müßte. Aber sie kannten ja auch den Grund nicht, weshalb ich unbedingt nach Großbritannien wollte.
Das Schiff, auf das ich verfrachtet wurde, dürfte nicht viel besser gewesen sein als eins der Schiffe, mit denen die ersten Einwanderer nach Australien gekommen waren, als sie vor etwa hundertfünfzig Jahren in die entgegengesetzte Richtung segelten. Wir »Sklaven« erhielten zu dritt eine Kabine zugeteilt, die nicht größer als mein Zimmer im Studentenheim war, und wenn das Schiff auch nur ein bißchen über zehn Prozent krängte, endeten Pam, Maureen und ich in der gleichen Koje.
Jede von uns hatte sich zur Arbeit im Melrose Hotel im Earl’s Court verpflichtet, das, wie man uns versichert hatte, in der Stadtmitte von London lag. Nach einer sechswöchigen Reise wurden wir am Hafen von einem schrottreifen ehemaligen Armeelastwagen abgeholt, der uns nach London brachte und vor dem Hotel absetzte.
Der Hausmeister erfüllte unsere Bitte, und Pam, Maureen und ich bekamen ein gemeinsames Zimmer, das allerdings auch kaum größer war als die Kabine an Bord des Schiffes. Die einzige Verbesserung war, daß wir nicht mehr unerwartet aus dem Bett geschaukelt wurden.
Erst nach guten zwei Wochen hatte ich endlich genügend Freizeit, daß ich zum Postamt in Kensington gehen und das Londoner Telefonbuch studieren konnte. Aber es war nicht ein Trentham eingetragen.
»Es könnte ein Teilnehmer mit Geheimnummer sein«, meinte die Schalterbeamtin. »Aber in dem Fall würde er Ihren Anruf sowieso nicht entgegennehmen.«
»Oder es gibt keinen Trentham in London«, entgegnete ich und fand mich damit ab, daß das Regimentsmuseum jetzt die letzte mir verbleibende Hoffnung war.
Ich hatte mir eingebildet, auf der Universität wirklich schwer gearbeitet zu haben, aber was man uns im Melrose abverlangte, hätte sogar einen Frontsoldaten in die Knie gehen lassen. Trotzdem wollte ich verdammt sein, wenn ich es zugeben würde, vor allem, nachdem Pam und Maureen den Kampf innerhalb eines Monats aufgaben und ihren Eltern telegrafierten, ihnen Geld zu schicken, woraufhin sie das erste Schiff zurück nach Australien nahmen. Zumindest hatte ich nun das Zimmer ein paar Tage lang für mich allein – bis die nächste Schiffsladung eintraf. Um ehrlich zu sein, ich wäre gern mit den beiden Mädchen zurückgereist, aber ich hatte niemanden in Australien, den ich um mehr als zehn Pfund hätte bitten können.
Am ersten freien Tag, an dem ich nicht völlig erschöpft war, fuhr ich mit dem Zug nach Hounslow in Middlesex. Der Beamte am Fahrkartenschalter wies mir den Weg zum Depot und Museum der Royal Fusiliers. Nach etwa einem Kilometer Fußmarsch erreichte ich endlich das gesuchte Gebäude. Von einem Soldaten am Empfang abgesehen schien es völlig menschenleer zu sein.
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