Archer, Jeffrey
zuzuhören, und Abel beobachtete stolz, wie die etwas ältliche Jungfer – daß sie erst zweiunddreißig und daher gleich alt wie er war, vergaß er immer – seine vierjährige Tochter Dinge lehrte, von denen er selbst gern mehr gewußt hätte.
Eines Morgens fragte Abel seinen Freund George, ob er die Namen der sechs Frauen Heinrichs VIII. wisse. Kenne er sie nicht, wäre es vielleicht ratsam, noch zwei Gouvernanten vom Cheltenham Ladies College kommen zu lassen, bevor Florentyna mehr wußte als sie beide.
Zaphia wollte weder etwas von Heinrich VIII. wissen noch von seinen sechs Frauen. Sie fand immer noch, Florentyna sollte in der einfachen polnischen Tradition erzogen werden, aber sie hatte es längst aufgegeben, Abel davon zu überzeugen. Zaphia teilte sich ihren Tag so ein, daß sie möglichst wenig von der neuen Gouvernante sah.
Miss Tredgolds Tageseinteilung hingegen wurde teils von der Disziplin eines Gardeoffiziers der Grenadiere, teils von den Lehren Maria Montessoris bestimmt.
Florentyna stand um sieben Uhr auf. Während sie so kerzengerade saß, daß ihr Rückgrat nie die Stuhllehne berührte, erhielt sie Unterricht in Tischmanieren, bis sie das Frühstückszimmer verließ. Zwischen halb acht und Viertel vor acht las sie zwei oder drei Meldungen aus der Chicago Tribune vor, die Miss Tredgold ausgewählt hatte und die sie gemeinsam besprachen. Eine Stunde später wurde Florentyna darüber befragt. Was der Präsident tat, faszinierte das Kind immer – vielleicht, weil er nach ihrem Teddybären benannt war. Miss Tredgold stellte fest, daß sie einige Zeit darauf verwenden mußte, die ihr fremde amerikanische Regierungsform zu studieren, um alle unerwarteten Fragen ihres Zöglings beantworten zu können.
Von neun bis zwölf waren Florentyna und F.D.R. im Kindergarten, wo sie sich ebenso beschäftigten wie alle anderen Kinder. Wenn Miss Tredgold Florentyna nachmittags abholte, wußte sie sofort, ob das Kind sich an diesem Tag für Plastilin, Fingermalerei oder Ton entschieden hatte. Florentyna wurde nach Hause gebracht und mit dem üblichen »Warum du heute nur wieder so schmutzig bist« gebadet und umgezogen.
Dann unternahmen Miss Tredgold und Florentyna einen Ausflug, den die Erzieherin vorher ohne Florentynas Wissen sorgfältig geplant hatte – was Florentyna nicht davon abhielt, jeden Plan im voraus erraten zu wollen.
»Wohin gehen wir heute?« oder »Was machen wir heute?« pflegte sich Florentyna zu erkundigen.
»Sei geduldig, mein Kind.«
»Können wir es auch machen, wenn es regnet?«
»Das wird sich weisen. Aber wenn nicht, dann habe ich noch einen Ausweichplan.«
»Was ist ein Weichplan?« fragte Florentyna verwirrt.
»Etwas, das man braucht, wenn alles, was man geplant hat, nicht klappt« , erklärte Miss Tredgold.
Zu diesen Ausflügen gehörten Spaziergänge im Park, Zoobesuche, manchmal sogar Fahrten mit der Straßen-bahn, die Florentyna entzückten. Während dieser Unternehmungen brachte Miss Tredgold ihrem Schützling auch die ersten französischen Worte bei und war angenehm überrascht, als sie feststellte, wie sprachbegabt Florentyna war. Wieder zu Hause, verbrachte das Kind vor dem Tee eine halbe Stunde mit ihrer Mutter; es folgte das abendliche Bad, und um sieben Uhr lag Florentyna im Bett. Jeden Abend las ihr Miss Tredgold ein paar Zeilen aus der Bibel oder aus Mark Twain vor – wenn auch die Amerikaner den Unterschied nicht zu kennen schienen, dachte Miss Tredgold in einem Anflug von Frivolität -, und wenn das Licht gelöscht war, saß sie neben ihrem Schützling und F.D.R., bis beide eingeschlafen waren.
Diese Routine wurde eisern eingehalten und nur ganz selten, an Feier- oder Geburtstagen etwa, durchbrochen.
Bei solchen Gelegenheiten durfte Florentyna Miss Tredgold ins Kino begleiten, um Filme wie »Schneewitt-chen und die sieben Zwerge« anzusehen, aber erst, nachdem Miss Tredgold sie allein angeschaut und sie für geeignet befunden hatte. Walt Disney wurde von ihr gebilligt und ebenso Laurence Oliver in seiner Rolle als Heathcliff – ein Film, den sich Miss Tredgold an ihren freien Nachmittagen dreimal hintereinander ansah – um zwanzig Cents die Vorstellung.
Miss Tredgold bemühte sich, jede von Florentynas Fragen zu beantworten, gleichgültig, ob sie sich nach den Nazis, dem New Deal oder dem » home run« beim Baseball erkundigte. Das Kind fand bald heraus, daß die Mutter seine Neugierde nicht immer befriedigen konnte, und manchmal mußte sogar Miss
Weitere Kostenlose Bücher