Archer, Jeffrey
vielleicht etwas wirrer, aber im Grund vernünftiger Mann. Man kann nicht von mir erwarten, daß ich Florentyna solche falschen Ansichten weitergebe. Es würde mir fast das Herz brechen, Florentyna zu verlassen – ich würde sie nicht mehr lieben, wenn sie meine eigene Tochter wäre -, aber Wahrheiten zu verschleiern, weil Sie genug Geld haben, um diese Wahrheiten noch ein paar Jahre vor dem Kind geheimzuhalten, das kann ich nicht billigen. Bitte entschuldigen Sie meine Offenheit, Mr. Rosnovski, vielleicht bin ich zu weit gegangen, aber ich kann die Vorurteile anderer Menschen nicht verurteilen, während ich gleichzeitig die Ihren entschuldige.«
Abel lehnte sich weit zurück, bevor er antwortete. »Miss Tredgold, Sie hätten Botschafterin werden sollen, nicht Erzieherin. Natürlich haben Sie recht. Was raten Sie mir?«
Miss Tredgold, die immer noch stand – sie hätte nie daran gedacht, sich in Gegenwart ihres Arbeitgebers zu setzen, außer wenn Florentyna bei ihr war -, zögerte kurz.
»Das Kind sollte vier Wochen lang täglich eine halbe Stunde früher aufstehen und polnische Geschichte lernen.
Es muß erfahren, warum die Polen eine große Nation sind, warum sie Deutschland Widerstand geleistet haben, obwohl sie allein nie einen Sieg erringen konnten. Dann wird sie jenen, die sie wegen ihrer Herkunft verspotten, gut informiert und nicht unwissend gegenübertreten.«
Abel sah Miss Tredgold in die Augen. »Jetzt verstehe ich, was G. B. Shaw meinte, als er sagte, man müsse eine englische Gouvernante kennen, um zu wissen, warum England großartig ist.«
Beide lachten.
»Ich frage mich, warum Sie nicht mehr aus Ihrem Leben machen wollen, Miss Tredgold«, sagte Abel und merkte sofort, daß das vielleicht beleidigend war. Wenn es so war, ließ es sich Miss Tredgold jedenfalls nicht anmerken.
»Mein Vater hat sechs Töchter. Er hat sich einen Sohn gewünscht.«
»Was machen die anderen fünf?«
»Sie sind alle verheiratet«, erwiderte sie ohne Bitterkeit.
»Und Sie?«
»Vater sagte einmal zu mir, ich sei geboren, Lehrerin zu werden; der Herr lenke unser aller Schicksal; vielleicht würde ich jemanden lehren, der zu Größerem berufen sei.«
»Wir wollen es hoffen, Miss Tredgold.«
Abel hätte sie gern beim Vornamen genannt, aber er kannte ihn nicht. Er wußte nur, daß sie mit »W. Tredgold«
unterschrieb. Abel lächelte sie an.
»Wollen Sie einen Drink mit mir nehmen, Miss Tredgold?«
»Danke, Mr. Rosnovski. Ein Schluck Sherry wäre sehr angenehm.«
Abel schenkte ihr einen trockenen Sherry und sich selbst einen großen Whisky ein.
»Wie steht es mit F.D.R.?«
»Fürs Leben verunstaltet, fürchte ich, das Kind wird um so mehr an ihm hängen. Künftig wird F.D.R. zu Hause residieren und nur auf Reisen gehen, wenn ich ihn begleite.«
»Sie klingen wie Eleanor Roosevelt, wenn sie mit dem Präsidenten spricht.«
Miss Tredgold lachte und nippte an ihrem Glas. »Darf ich noch einen Vorschlag machen?«
»Natürlich«, erwiderte Abel und hörte Miss Tredgolds Empfehlung sehr genau an. Als sie ihren zweiten Drink geleert hatten, gab Abel seine Zustimmung.
»Gut«, sagte Miss Tredgold, »dann werde ich mich mit Ihrer Erlaubnis bei der ersten Gelegenheit darum kümmern.«
»Natürlich«, wiederholte Abel. »Doch was diesen morgendlichen Unterricht betrifft, wird es für mich schwierig sein, mich jeden Tag dafür freizumachen.«
Miss Tredgold wollte eben etwas sagen, als Abel hinzufügte: »Es gibt Verabredungen, die ich nicht so kurzfristig absagen kann, das werden Sie sicher verstehen.«
»Sie müssen tun, was Sie für richtig halten, Mr.
Rosnovski. Wenn Sie etwas für wichtiger halten als die Zukunft Ihrer Tochter, dann wird sie das sicherlich verstehen.«
Abel wußte, wann er geschlagen war. Er sagte einen Monat lang alle Verabredungen außerhalb von Chicago ab und stand jeden Morgen eine halbe Stunde früher auf.
Selbst Zaphia gefiel Miss Tredgolds Idee.
Am ersten Tag erzählte Abel seiner Tochter von seiner Geburt in einem Wald in Polen; wie er von einer Waldhü-
terfamilie adoptiert wurde und später in das Schloß eines Barons nach Slonim an der polnischrussischen Grenze kam. »Er behandelte mich wie seinen Sohn«, sagte Abel.
Später erzählte Abel, wie seine Schwester Florentyna, nach der seine Tochter benannt war, ihm ins Schloß folgte und wie er entdeckte, daß der Baron sein Vater war.
»Ich weiß, ich weiß, wie du es herausgefunden hast«, rief Florentyna.
»Woher willst du das
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