Archer, Jeffrey
küßte und anderen (die älter waren als sie) erlaubte, sie zu küssen. Mit siebenundsiebzig war sie immer noch elegant und zeigte keinerlei Alterserscheinungen. Sie war auch das einzige Familienmitglied, von dem Annabel sich etwas sagen ließ, ohne zu widersprechen.
Nach einem großartigen Empfang in Joannas Elternhaus auf Beacon Hill flogen William und seine junge Frau nach Europa, während Florentyna und Richard nach New York zurückkehrten. Florentyna wußte, daß sie sehr bald eine Erklärung über ihre Senatskandidatur abgeben mußte; sie rief den scheidenden Senator an, um ihn zu fragen, wie sie nach seiner Ansicht ihr Statement formulieren sollte.
Während sie seine Nummer im Dirksen Building wählte, überlegte sie, wie selten sie ihn jetzt sah, während er und sie noch vor ein paar Monaten die Hälfte ihres Lebens innerhalb eines Radius von zweihundert Metern verbracht hatten. Der Senator war nicht da, und Florentyna bat um seinen Rückruf. Es vergingen einige Tage, bis die Sekretärin des Senators anrief und erklärte, der Senator sei mit Arbeit überhäuft. Das ist sonst nicht David Rodgers Art, überlegte Florentyna und hoffte, daß er sie nicht absichtlich brüskiert hatte, bis sie mit Edward sprach.
»Es gibt ein Gerücht, wonach Rodgers’ Frau seinen Sitz haben möchte.«
»Betty Rodgers? Sie behauptete doch immer, sie könne es nicht ertragen, im Blickpunkt der Öffentlichkeit zu stehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie jetzt, da Rodgers sich zurückzieht, so etwas anstrebt.«
»Vergiß nicht, seit ihre Kinder vor drei Jahren das Haus verließen, sitzt sie im Stadtrat von Chicago. Vielleicht hat sie Blut geleckt.«
»Glaubst du, es ist ihr ernst damit?«
»Ich weiß nicht, aber ich werde es herausfinden.«
Florentyna fand es noch vor Edward heraus, weil sie von einem ihrer ehemaligen Mitarbeiter angerufen wurde. Er sagte, im Parteivorstand von Cook County tue man so, als sei Mrs. Rodgers bereits die Kandidatin.
Edward rief am selben Tag zurück, um ihr mitzuteilen, man erwäge, eine Fraktionssitzung einzuberufen und Betty Rodgers als Kandidatin aufzustellen, obwohl Meinungsumfragen ergaben, daß mehr als achtzig Prozent der eingeschriebenen Demokraten Florentyna als Rodgers Nachfolgerin haben wollten. »Es hilft auch nicht viel«, fügte Edward hinzu, »daß Senator Brooks Betty Rodgers öffentlich unterstützt.«
»Welch eine Überraschung«, sagte Florentyna. »Was, meinst du, soll ich als nächstes tun?«
»Ich glaube, im Moment kannst du gar nichts tun. Ich weiß, daß dich viele im Parteiausschuß unterstützen, also ist der Ausgang ziemlich ungewiß. Vielleicht ist es besser, sich nicht einzumischen. Arbeite weiter und verbreite den Eindruck, als stündest du über den Dingen.«
»Und was tue ich, wenn sie gewählt wird?«
»Dann mußt du als unabhängige Kandidatin antreten und sie schlagen.«
»Gegen den Parteiapparat anzukämpfen ist fast unmöglich. Du selbst hast mir das vor ein paar Monaten gesagt, Edward.«
»Truman hat es zuwege gebracht.«
Ein paar Minuten nach Beendigung der Sitzung erfuhr Florentyna, daß der Ausschuß Betty Rodgers mit 6: 5
Stimmen zur offiziellen demokratischen Kandidatin für den Senat gewählt hatte. Sowohl David Rodgers wie Ralph Brooks harten sich gegen Florentyna ausgesprochen.
Sie konnte kaum glauben, daß bloß sechs Leute eine so wichtige Entscheidung treffen konnten, und in der folgenden Woche führte sie zwei unangenehme Telefongespräche, eines mit David Rodgers, das andere mit Ralph Brooks. Beide baten sie, die Einheit der Partei vor ihren persönlichen Ehrgeiz zu stellen. »Das ist die Art von Heuchelei, die man von den Demokraten erwartet« , meinte Richard.
Viele ihrer Anhänger baten Florentyna, den Kampf nicht aufzugeben, sie aber war unentschlossen, vor allem, als der Parteivorsitzende von Illinois sie anrief und bat, um der Parteieinheit willen formell auf eine Kandidatur zu verzichten. Schließlich würde Betty nur sechs Jahre im Senat bleiben.
Lang genug für Ralph Brooks, dachte Florentyna.
In den folgenden Tagen hörte sie viele Ratschläge an, aber es war Bob Buchanan, der ihr empfahl, Julius Cäsar sorgfältig zu lesen.
»Das ganze Stück?« fragte Florentyna.
»Nein, ich würde mich an Ihrer Stelle auf Mark Anton konzentrieren.«
Florentyna rief den Parteivorsitzenden an und erklärte sich bereit, bei der Parteisitzung auf ihre Kandidatur zu verzichten, Betty Rodgers aber nicht zu unterstützen.
Der
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