Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Archer, Jeffrey

Archer, Jeffrey

Titel: Archer, Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abels Tochter
Vom Netzwerk:
wissen, Kleines?«
    »Er hatte nur eine Brustwarze«, rief Florentyna. »So muß es gewesen sein. Ich hab dich im Bad gesehen. Du hast auch nur eine Brustwarze, also mußtest du sein Sohn sein. Alle Jungen in der Schule haben zwei…«
    Abel und Miss Tredgold starrten das Kind ungläubig an, als es fortfuhr: »… aber wenn ich deine Tochter bin, warum hab ich dann zwei?«
    »Weil das Merkmal nur vom Vater auf den Sohn weitergegeben wird. Bei Töchtern kommt es kaum vor.«
    »Das ist ungerecht. Ich will auch nur eine Brustwarze haben.«

    Abel lachte. »Nun, wenn du einen Sohn bekommst, wird er vielleicht auch nur eine haben.«
    »Zeit, die Haare zu bürsten und in die Schule zu gehen«, mahnte Miss Tredgold.
    »Aber gerade jetzt wird es spannend.«
    »Tu, was man dir sagt, mein Kind.«
    Widerwillig trollte sich Florentyna ins Badezimmer.
    »Was wird morgen geschehen, Miss Tredgold?« fragte sie auf dem Schulweg.
    »Ich habe keine Ahnung, mein Kind. Wie Mr. Asquith sagte, man muß abwarten.«
    »War Mr. Asquith mit Papa im Schloß?«

    In den folgenden Tagen schilderte Abel seiner Tochter das Leben in einem russischen Gefangenenlager und erklärte ihr, warum er seither hinkte. Er erzählte ihr Geschichten, die ihm der Baron vor mehr als zwanzig Jahren im Kellerverlies erzählt hatte – von dem legendären polnischen Helden Tadeusz Kosciuszko und allen anderen großen Persönlichkeiten bis zum heutigen Tag. Und Miss Tredgold wies auf eine Landkarte von Europa, die sie aufgehängt hatte.
    Schließlich erzählte Abel seiner Tochter, wie er den Silberreif erhalten hatte, den er ständig trug.
    »Was heißt das?« fragte Florentyna und betrachtete die winzigen eingravierten Buchstaben.
    »Versuch es zu lesen, Kleines.«
    »Baron Abel Rosnovski«, stammelte Florentyna. »Aber das ist doch dein Name?«
    »Und auch der meines Vaters.«
    Nach ein paar Tagen konnte Florentyna alle Fragen des Vaters beantworten, wenn auch Abel nicht jede der ihren beantworten konnte. In der Schule erwartete Florentyna täglich einen neuen Angriff von Edward Winchester, er schien jedoch den Vorfall vergessen zu haben und bot ihr sogar einmal die Hälfte seines Apfels an.
    Aber nicht alle in der Klasse hatten vergessen, und besonders einem ebenso dicklichen wie dümmlichen Mädchen machte es Freude, »dumme Polackin« zu flüstern, sobald Florentyna in Hörweite war.
    Florentyna wehrte sich nicht sofort. Ein paar Wochen später, als das Mädchen bei der Geschichtsprüfung die Schlechteste und Florentyna die Beste war, verkündete es laut: »Wenigstens bin ich keine Polackin.«
    Edward runzelte die Stirn, einige Mädchen kicherten.
    Florentyna wartete, bis alle still waren. »Richtig, du bist eine Amerikanerin der dritten Generation, mit einer Geschichte, die hundert Jahre zurückreicht. Meine kann man tausend Jahre zurückverfolgen, und deshalb bist du in Geschichte die Letzte, und ich bin die Erste.«
    Das Thema wurde in der Klasse nie mehr erwähnt. Als Miss Tredgold auf dem Heimweg die Geschichte hörte, lächelte sie.
    »Sollen wir es heute abend Papa erzählen?« fragte Florentyna.
    »Nein, mein Kind. Stolz ist keine Tugend. Manchmal ist es klüger, den Mund zu halten.«
    Nachdenklich nickte das sechsjährige Mädchen, dann fragte es: »Glaubst du, daß ein Pole Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte?«
    »Natürlich, wenn die Amerikaner ihre Vorurteile ablegen.«
    »Und wie ist es mit einem Katholiken?«

    »Das wird sehr bald nebensächlich werden.«
    »Und eine Frau?« fragte Florentyna.
    »Das mag etwas länger dauern, mein Kind.«

    An diesem Abend berichtete Miss Tredgold dem Vater, daß sein Unterricht Früchte getragen habe. »Und wann werden Sie den zweiten Teil des Planes ausführen, Miss Tredgold?«
    »Morgen«, erwiderte sie lächelnd.
    Am folgenden Nachmittag um halb vier stand Miss Tredgold wie gewöhnlich an der Straßenecke und wartete auf ihren Schützling. Schnatternd erschien Florentyna, und sie waren bereits einige Blocks gegangen, bevor das Kind bemerkte, daß sie nicht den üblichen Weg gingen.
    »Wohin wollen wir, Miss Tredgold?«
    »Geduld, mein Kind. Du wirst es bald sehen.«
    Miss Tredgold lächelte geheimnisvoll, während Florentyna mehr damit beschäftigt war, von einer Englischprüfung zu berichten. Sie hielt einen Monolog, den sie bis zur Menomonee Street fortsetzte. Hier zeigte sich Miss Tredgold mehr an den Hausnummern interessiert als an den tatsächlichen und erfundenen Leistungen ihres

Weitere Kostenlose Bücher