Archer, Jeffrey
Straßenseite aus einem Geschäft treten. Ohne nachzudenken oder sich umzusehen sprang sie auf die Fahrbahn und rief seinen Namen. Ein gelbes Taxi bremste quietschend. Der Fahrer riß den Wagen herum, als er das Aufblitzen eines blauen Kleides sah, dann spürte er etwas Schweres gegen das Auto schlagen. Der Verkehr kam zum Stillstand, und ein untersetzter, gut gekleideter Mann stürzte, von einem Polizisten gefolgt, auf die Straße. Einen Augenblick später standen Abel und der Taxifahrer vor dem leblosen Körper.
»Sie ist tot«, sagte der Polizist, schüttelte den Kopf und zückte ein Notizbuch.
Zitternd fiel Abel auf die Knie. »Und das Bitterste ist, es ist meine Schuld«, sagte er, zu dem Polizisten aufschauend.
»Nein, Papa, es war meine Schuld«, schluchzte Florentyna. »Ich hätte nicht auf die Fahrbahn laufen dürfen. Weil ich unbedacht war, habe ich Eleanor getötet.«
Der Taxifahrer erklärte, daß er keine andere Wahl gehabt habe; hätte er nicht den Hund überfahren, wäre vermutlich das Mädchen tot.
Abel nickte, hob seine Tochter hoch und trug sie auf den Gehsteig, ohne daß sie auf Eleanors verstümmelten Körper zurückblicken konnte. Er legte Florentyna in den Wagenfond und ging zu dem Polizisten zurück.
»Mein Name ist Abel Rosno -«
»Ich kenne Sie, Sir.«
»Kann ich Ihnen alles weitere überlassen?«
»Natürlich, Sir.«
Der Polizist blickte nicht von seinem Notizbuch auf.
Abel wies den Chauffeur an, zum Baron Hotel zu fahren.
Er hielt die Hand des Kindes fest, als sie durch die überfüllte Halle zum Privatfahrstuhl gingen, der sie in den 42. Stock brachte. George kam ihnen entgegen und wollte eben sein Patenkind mit einem Scherz begrüßen. Dann sah er ihr Gesicht.
»Bitte Miss Tredgold, sofort herzukommen, George.«
»Natürlich.«
George verschwand in seinem Büro.
Geduldig hörte Abel lange Geschichten über Eleanor an, bis man Tee und Sandwiches brachte. Florentyna konnte kaum einen Schluck Milch hinunterbringen. Ohne Vorwarnung wechselte sie plötzlich das Thema.
»Warum kommst du nie mehr nach Hause, Papa?«
Abel schenkte sich noch eine Tasse Tee ein und verschüttete ein wenig davon in die Untertasse.
»Ich hatte oft Lust, nach Hause zu kommen, und es hat mir so leid getan, die Heilige Johanna zu versäumen, aber deine Mutter und ich lassen uns scheiden.«
»Oh nein, Papa, das darf nicht wahr sein. Papa…«
»Es ist meine Schuld, Kleines. Ich war ein schlechter Ehemann und…«
Florentyna schlang die Arme um ihn. »Heißt das, daß ich dich nie mehr sehen werde?«
»Nein. Ich habe ein Übereinkommen mit deiner Mutter getroffen. Wenn du in die Schule gehst, bleibst du in Chicago, aber die übrige Zeit kommst du zu mir nach New York. Natürlich kannst du mich immer anrufen, wenn du Lust hast.«
Florentyna schwieg. Sanft strich ihr Abel über das Haar.
Nach einer Weile klopfte es an der Tür, und Miss Tredgold trat ein. Ihr langes Kleid strich über den Teppich, als sie rasch auf Florentyna zuging.
»Wollen Sie Florentyna nach Hause bringen, bitte?«
»Natürlich, Mr. Rosnovski.«
Florentyna kämpfte immer noch mit den Tränen.
»Komm, mein Kind.«
Miss Tredgold bückte sich zu ihr herab und flüsterte ihr ins Ohr: »Versuch, deinen Schmerz nicht zu zeigen.«
Das zwölfjährige Mädchen küßte den Vater auf die Stirn, nahm Miss Tredgolds Hand und ging.
Als sich die Tür schloß, begann Abel, der nicht von Miss Tredgold erzogen worden war, zu weinen.
7
Zu Beginn des zweiten Schuljahres in der Upper School sah Florentyna zum erstenmal Pete Welling. Er saß in der Ecke des Musikzimmers und spielte auf dem Klavier den letzten Broadway-Hit. Es klang ein wenig falsch, und Florentyna gab dem Klavier die Schuld. Pete schien nicht zu bemerken, daß sie vorbeiging, also drehte sie sich um und ging wieder zurück. Kein Erfolg. Er fuhr sich mit der Hand durch die blonden Locken und spielte weiter; Florentyna tat so, als habe sie ihn nicht gesehen. Am folgenden Tag erfuhr sie, daß er zwei Jahre älter war als sie, wußte, wo er wohnte, daß er Kapitän des Fußballteams und Präsident seiner Klasse war. Ihre Freundin Susie Jacobson warnte sie, daß bereits andere erfolglos ihr Glück bei ihm versucht hätten.
»Aber ich habe ihm etwas zu bieten, dem er bestimmt nicht widerstehen kann.«
Am Nachmittag setzte sie ihren ersten Liebesbrief auf.
Nach langer Überlegung wählte sie rote Tinte und schrieb mit kühnen großen Buchstaben:
Mein lieber Pete, schon als ich
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