Arglist: Roman (German Edition)
seinen Dienstausweis und gab ihm eine Visitenkarte. »Und Sie sind?«
»Man hat mich schon viele Namen geschimpft, suchen Sie sich einfach einen aus.« Der Mann hatte rot geränderte, haselnussbraune Augen, aber es schimmerte Intelligenz hindurch. Er starrte Decker ins Gesicht, dann auf die Visitenkarte. »Meine Mutter nennt mich immer noch Liam.«
Seine Stimme hatte einen leichten Singsang. »Liam wie in Liam ›Mad Irish‹ O’Dell?«, fragte Decker.
Liam lächelte und offenbarte dabei einen Mund voller brauner Zähne. »Sie sind ein Fan, oder?«
Decker setzte ein unergründliches Lächeln auf.
»Ich sag Ihnen was, Kumpel. Rudy ist nicht nur ein Schwanzlutscher und ein Arschloch, sondern auch noch ein Verräter. Haben Sie sich die Scheiße, die er produziert, mal angehört?«
»Ziemlicher Mist, wie?«
»Das ist der Gipfel der Untertreibung. Glücklicherweise haben die Fans das letzte Wort. Seine neue CD ging völlig in die Hose.« O’Dell zuckte mit den Achseln. »Ich war hier in der Gegend. Dachte, ich versuch’s mal vorm Mittagessen. Er weiß, dass ihn die Wölfe jagen. Wie viel schuldet er Ihnen?«
»Eigentlich nichts.«
»Wie haben Sie das angestellt?« Die haselnussbraunen Augen weiteten sich. »Erzählen Sie mir nicht, Sie sind hier, um ihn zu verhaften. Das ist gut! Kann ich zusehen?«
»Tut mir leid, Ihre Hoffnung zu zerstören, Sir, aber ich wollte nur mit ihm reden.«
Er machte ein langes Gesicht. »Schade, aber ich wette was mit Ihnen. Ich wette, Sie werden nicht länger als fünf Minuten mit ihm reden, ohne diesen Hurensohn umbringen zu wollen.«
»Das habe ich schon mal gehört«, sagte Decker. »Und, dass er Geld mit ›Best of‹-Alben verdient.« Er sah O’Dell scharf an. »Auch mit dem ›Best of‹ der Doodoo Sluts .«
»Das kläre ich legal vor Gericht.«
»Und dieser Besuch hier hatte welchen Grund?«
»Der Scheißkerl wollte uns beklauen«, erwiderte Liam, »und da dachte ich, vor dem Essen plaudere ich noch nett mit ihm.«
Decker sagte dazu nichts.
»Eigentlich«, fuhr O’Dell fort, »war es Primos Idee, mal zurückzuschlagen.« Er schwieg einen Moment. »Armer Primo. Sie haben bestimmt davon gehört.«
»Das ist einer der Gründe, warum ich hier bin.«
»Warum, um mit Banks über Primo zu reden? Die sind im Krieg.« Seine Augen verengten sich wieder. »Außer Sie glauben, dass Banks...« Die Vorstellung von Banks als Mörder schien O’Dell zu erheitern. Sein Lachen klang wie ein trockener Husten. »Es wäre großartig, Rudy den Mord an Primo in die Schuhe zu schieben, nur leider sind Sie da wohl auf dem Holzweg. Banks hat dafür nicht den Mumm.« O’Dells Blick verdüsterte sich. »Aber die Scheißer, die Primo umgelegt haben, sind doch verhaftet, oder?«
Decker zog die Augenbrauen hoch. »Ganz schön heiß hier. Sie sagten, Sie wollten gerade zum Mittagessen? Wie wär’s, wenn ich Sie einlade?«
O’Dell grinste. »Sie sind tatsächlich ein Fan, was? Oder einer von diesen rumschnüffelnden Journalisten, die alles dafür tun würden, eine Insider-Story über die Sluts zu bekommen.«
»Nein, ich bin wirklich Polizist. Weiter unten an der Straße habe ich einen Coffee-Shop gesehen.«
»Das Bert’s ? Sie haben da noch nie was gegessen, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Das Fett ist so ranzig, dass es von der Decke tropft.«
»Danke für den Hinweis. Ich halte mich fern. Haben Sie eine Idee?«
»Da gibt’s das Millie’s.«
»Gut, wo ist das?«
»Ungefähr drei Blocks von hier. Wir können hinlaufen.«
»Klasse. Und was bietet Millie so an?«
»Sie kocht vegan.«
Decker musste ein Lachen unterdrücken. »O’Dell, ich bin ein Bulle, und dazu noch ein guter, aber ich wäre nie im Leben draufgekommen, dass Sie Veganer sind.«
Mad Irish grinste wieder abnorm. »Wie, glauben Sie, erhalte ich mir sonst meine mädchenhafte Figur?«
15
Durch das alte, aber saubere Schaufenster sah man Rohrtische und -stühle aus Resopal, die wahrscheinlich noch aus den Fünfzigern stammten. Die Speisekarte bot verschiedene, von exotischen Regionen dieser Welt inspirierte Vorspeisen, bei denen Tofu in allem, vom Shrimp-Cocktail bis hin zum Moo-Shu-Schwein, die Hauptrolle spielte. Der Kellner war ein bulliger Kerl mit eigenwilliger Frisur, einem sauber geschnittenen Ziegenbärtchen und einem Diamantstecker im Ohr, für heutige Verhältnisse also ein konservativer Typ. O’Dell bestellte »wie immer«, und Decker entschied sich für den Rohkost-Salat, weil er glaubte, dass es
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