Arglist: Roman (German Edition)
blickte Decker in die Augen. »Und Sie glauben das auch nicht. Deshalb sind Sie hier.«
»Ich trage Informationen zusammen. Warum glauben Sie’s nicht?«
»Der Mord wirkt kalkuliert. Ich hab die Aufnahme mit dem Verhör von dem Kerl gesehen... ich glaub jedenfalls, dass er einer der beiden ist. Der Idiot klang so, als könnte er nicht mal einen Furz nach einem Teller Bohnen planen.«
»Erinnern Sie sich an den Namen des Verhörten?«
»Nein. Es war ein Schwarzer.«
»Travis Martel.«
»Genau, der.« Marilyn hatte ihre Zigarette aufgeraucht und zündete sich die nächste an. »Aber was weiß ich schon? In der Zwischenzeit bin ich vorsichtig. Wenn es nicht diese beiden Ärsche waren, dann war’s vielleicht doch was Persönliches. Und dann sollte ich mich vielleicht öfters umsehen.«
»Jemand Bestimmten im Sinn?«
»Nein, und deshalb bin ich so nervös. Die Musikbranche zieht jede Menge Irre an. Manche haben sogar Talent. Heutzutage hängt alles vom Marketing ab. Wie’s klingt, ist Nebensache. Wie’s rüberkommt, ist alles.«
»Das glaube ich sofort. Wie hat Rudy Primo kennengelernt?«
»Das weiß ich nicht genau, weil ich erst lange nach der Auflösung der Band in Primos Leben kam. Wir haben uns bei den ›Anonymen Alkoholikern‹ getroffen. Ich bin jetzt seit fünf Jahren trocken. Primo, glaube ich, war schon ein bisschen länger trocken, aber wer weiß?«
»Sie glauben, Primo ist rückfällig geworden?«
Sie stieß Qualm aus. »Als ich hörte, dass die Kerle den Mercedes am Jonas Park geklaut haben, war mein erster Gedanke: Was zum Teufel macht Primo allein und mitten in der Nacht in einem Park in South L.A.? Die Frage habe ich mir sofort selbst beantwortet. Entweder nuckelte er an einer Flasche oder dröhnte sich sonst wie zu.«
»Haben Sie den Rechtsmediziner nach Alkohol oder Drogen im Blut gefragt?«
»Warum sollte ich?« Sie starrte ihn an. »Das hat ihn ja nicht umgebracht... jedenfalls nicht direkt.«
»Wäre doch interessant zu wissen.«
»Ja, weil es erklären würde, warum er sich kampflos ergeben hat. Wenn er betrunken oder zu war, hat er wahrscheinlich nichts bemerkt. Nüchtern konnte er sehr gut auf sich aufpassen.«
Decker fragte sich, ob eine umfassende Blutanalyse bei der Autopsie vorgenommen wurde. Er machte sich eine Notiz, um das zu überprüfen.
»Er war wirklich ein guter Produzent. Nicht, dass das irgendwen interessiert hätte. Die ganze Musikindustrie steht kurz vor dem Kollaps. Die CD ist ein Dinosaurier. Alles wird von Musikportalen runtergeladen. Und die meisten neuen Bands lassen den traditionellen Produzenten aus und verkaufen ihre Scheiße direkt im Internet. Primo bekam immer weniger Aufträge. Wenn er der Versuchung des Alkohols nachgegeben hätte, würde es mich nicht wundern.«
»Sie sagten, er hätte sich gewehrt, wenn er nicht betrunken gewesen wäre?«
»Ich kannte Primo nicht betrunken. Ich weiß nicht, ob er dann aggressiv war oder nicht. Als Mann war er ein guter Typ, das kann ich Ihnen sagen.« Sie blinzelte Tränen zurück. »Sollten Sie etwas Neues herausfinden, lassen Sie mich es wissen.«
»Natürlich. Und ich würde es begrüßen, wenn Sie unser Gespräch für sich behielten. Die ermittelnden Beamten wären nicht begeistert davon, dass ich meine Nase in ihre Angelegenheiten stecke.« Er schwieg einen Moment. »Sie haben nicht zufällig Rudy Banks’ Telefonnummer?«
»Ob ich die habe?« Sie lachte höhnisch auf. »Ich muss die ungefähr tausend Mal gewählt haben. Manchmal nimmt er sogar ab.«
»Danke. Das erspart mir eine Menge Arbeit. Und nur damit ich mich nicht zu sehr auf Rudy Banks konzentriere – gibt es noch jemanden, der ein Interesse daran haben könnte, Primo zu schaden?«
Sie nahm einen tiefen Zug ihrer Zigarette. »Wer weiß? In diesem Geschäft macht man sich Feinde, ohne es zu merken.«
14
Die Ansage sprang erst nach zehnmaligem Klingeln an, so dass jeder Anrufer ausreichend Gelegenheit hatte, wieder aufzulegen. Wenn die männliche Stimme zu Rudy Banks gehörte, dann klang er heiser, als leide er unter einer chronischen Kehlkopfentzündung. Decker hinterließ seinen Namen, Dienstgrad und seine Telefonnummer. Aus vorherigen Fällen, Intuition und Erfahrung wusste er: Diesem Mistkerl würde er hinterherlaufen müssen. Er legte auf und machte sich gerade ans Durchsehen eines schon umkippenden Turms von pinkfarbenen Telefonnotizen, als Oliver in sein Büro kam und sich hinsetzte.
Decker schaute kaum auf, hatte aber genug
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