Arglist: Roman (German Edition)
dem Tatort und dem Tod direkt zu tun hat. Vittons Hand war übersät mit Blutspritzern und Schmauchspuren, und er hatte das richtige Tupfenmuster im Gesicht für jemanden, der den Abzug gerade aus nächster Nähe betätigt hat. Die Tabletten waren alt, enthielten aber noch genug Wirkstoffe, um ihn wegtreten zu lassen. In seinem Blut ließ sich nichts Verdächtiges finden – außer Alkohol und dem Schmerzmittel.«
»Dann frage ich doch wieder: Warum gilt die Todesursache als ungeklärt?«
»Wegen der Begleitumstände. Sie hatten gerade mit Vitton über einen ungelösten Fall gesprochen, und keine zwölf Stunden später ist er tot. Ich vermute mal, der Mediziner will sich ein bisschen Spielraum verschaffen, falls neue Beweise auftauchen und wir die Akte noch mal öffnen müssen.«
»Haben Sie das der Familie schon gesagt?«
»Ja, und sie schienen gut damit klarzukommen.«
»Hat er Werte hinterlassen?«, wollte Decker noch wissen.
»Das Haus und ungefähr zehn Riesen als Sparguthaben, das zwischen den Jungs geteilt wird.«
»Ich kenne mich im Simi Valley nicht aus. Was ist sein Haus wert?«
»Schätzungsweise vierhunderttausend. Wenn alle Steuern, Gebühren und dies und das bezahlt sind, bleiben für jeden der Jungs so um die hunderttausend.«
Decker zog eine Augenbraue hoch.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Shirley, »manch einer wurde schon wegen seiner Schnürsenkel getötet, aber ich habe im Vorfeld ein paar Nachforschungen über die Brüder veranlasst. Freddie verdient sechsstellig, und Cal J bekommt regelmäßig Aufträge als Filmausstatter.«
»Hat einer der Brüder ein Laster?«
»Nichts, von dem ich wüsste, aber dem Geldmotiv bin ich auch nicht wirklich nachgegangen. Jeder sagt, dass Cal Vitton verbittert und depressiv war. Selbstmord ist für alle immer noch die wahrscheinlichste Lösung. Trotzdem halte ich Augen und Ohren offen für Gegenbeweise.«
»Vielleicht sollte ich anfangen darüber nachzudenken, was Cal Vitton in den Selbstmord getrieben hat, statt mich zu fragen, ob es Selbstmord war oder nicht«, sagte Decker. »Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Detective Redkin, und sollten Sie irgendetwas hören, lassen Sie es mich bitte wissen.«
»Kein Problem.« Shirley schaute auf ihre Uhr. »So unterhaltsam es auch war, alles Gute muss ein Ende finden.« Sie lächelte. »Bis bald, Lieutenant. Oder auch nicht.«
Decker sah ihr nach und ging dann zum Büfett. Er wurde sofort von Arnie Lamar in Beschlag genommen, der anbot, ihn einer Gruppe ehemaliger Polizisten vorzustellen. In schneller Folge lernte Decker erst Chuck Breem, dann Allan Klays, Tim Tucker und Marvin Oldenberg kennen – Männer wie Arnie, mit geäderten Händen, Altersflecken und unterschiedlich stark ausgeprägten Glatzen. Der Ausdruck in ihren Augen war immer noch durchdringend, aber auch, während sie alles um sich herum wahrnahmen, für immer geprägt von Misstrauen und Vorsicht.
Die ersten fünf Minuten wurden mit »Wie es früher einmal war«-Gesängen verbracht. Die nächsten zehn Minuten gehörten Kampfgeschichten mit den üblichen Verdächtigen – Dealern, Schlägern, Pennern, Zuhältern und Nutten. Decker hatte das alles schon x-mal gehört und bemühte sich nicht besonders, interessiert zu wirken. Er schaute bewusst nach der Uhr und warf dann öfter einen Blick auf Freddie Vitton und seinen jüngeren Bruder Cal Junior. Lamar verstand den Wink mit dem Zaunpfahl.
»Hey, Freunde, ich präsentiere den Großen hier mal den beiden Jungs«, sagte Lamar. »Macht schön weiter, ich bin gleich wieder da.« Er steuerte mit Decker in Freddies Richtung und stellte ihn im geeigneten Augenblick vor.
Vitton musterte ihn. »Sie waren ein Freund von ihm?«
»Nein, ich wollte mit Ihrem Vater über einen seiner ungelösten Fälle sprechen.«
»Bennett Little«, gab Lamar dazu.
Vitton blickte zur Seite. »Bennett Little. Wir alle nannten ihn Dr. Ben. Der eine, der davongekommen ist. Das sagte Dad immer.«
»Sprach Ihr Vater viel über den Fall?«
»Nein, gar nicht. Er redete nicht viel. Punkt. Es ist nicht so, dass mein Vater und ich nichts miteinander zu tun hatten. Wir respektierten nur gegenseitig unser Privatleben. Treffen gab’s ein- oder zweimal im Jahr an den Feiertagen: Erntedank, Weihnachten, Geburtstag. Im Großen und Ganzen, und Arnie wird mir da zustimmen, war Dad kein großer Redner.«
»Stimmt genau«, pflichtete Lamar ihm bei.
»Das habe ich aus Ihrer Lobrede herausgehört«, sagte Decker, »Sie haben wirklich
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