Argus #5
kein Problem damit, Nadine Kramer vom Herald anzurufen und ihr von Colliers verdammtem Deal mit dem Serienmörder zu erzählen. Aber das würde Darias Karriere zerstören. Und natürlich würden dann auch die ganzen Snuff-Club-Behauptungen rauskommen, und Manny wollte einstweilen nicht zu tief in dieses düstere Geheimversteck hineinleuchten, damit sich all die Kakerlaken nicht gleich wieder versteckten. Nein, er würde sich einfach Mühe geben, darüber hinwegzukommen, was sie getan hatte, und vielleicht konnten sie ja dann gemeinsam nach Bantling suchen, vereint im Kampf gegen das Verbrechen. Manny würde ihn aufspüren und zurück nach Miami bringen, und nachdem es keine offizielle Kooperationsvereinbarung mit ihm gab, würden sie seinen jämmerlichen Arsch wieder ins Florida State Prison verfrachten. Und anschließend würden er und Dickerson und die Zollfahndung und das FBI und das FDLE und jede Behörde, die sonst noch mitmachen wollte, den Snuff-Club ausfindig machen und unterwandern. Es musste noch einen anderen Weg hinein geben. Es musste eine Möglichkeit geben, ihn zu zerschlagen, ohne dass man einen verurteilten Serienmörder als Informanten beschäftigte. Und dann würden sie verdammt noch mal alle glücklich weiterleben, bis an ihr Lebensende.
Sein Blick wanderte zu den Aktenkisten auf seiner Kommode. Oder auch nicht.
Auf der einen Kiste stand: Florida vs. William Rupert Bantling , auf der anderen: Morpheus . Manny hatte noch in keine hineingesehen. Er wusste auch nicht recht, ob er das noch tun würde oder überhaupt tun sollte. Zunächst hatte er sie nur mit nach Hause genommen und auf die Kommode gestellt. In den vergangenen paar Stunden hatte er, während er weiter am Fall Lunders arbeitete, immer wieder zu den Kisten hinübergeschaut und überlegt, welche Geheimnisse sie wohl offenbarten, falls er sich doch entschloss, sie zu öffnen. Genau deswegen hatte er es bisher nicht getan: Er war sich nicht sicher, ob er die Deckel je wieder zubekommen würde. Und wie Pandora mit ihrer Büchse wusste er nicht, was er Böses auf die Welt losließ, falls er doch den Deckel hob …
Während es bei Daria am anderen Ende der Leitung klingelte, trommelte Manny mit den Fingern auf den Nachttisch. Würden die verrückten Gedanken, die ihm eben durch den Kopf gegangen waren, einfach so heraussprudeln, sobald er ihre Stimme hörte? Was, wenn sie immer noch betrunken war oder zu verkatert, um einen klaren Gedanken zu fassen? Doch er wurde direkt auf die Mailbox umgeleitet. Entweder hatte sie das Handy ausgestellt, oder sie hatte ihn weggedrückt, als sie sah, dass er anrief.
«Hey, ich bin’s», fing er möglichst sanft an, nachdem der Piepton verklungen war. «Ich hab deine Nachricht gekriegt. Das ist ja ein ganz schöner Hammer. Und ehrlich gesagt, ’ne ziemlich billige Nummer, mir so was am Telefon zu sagen. Wie soll ich denn jetzt darauf reagieren, Counselor? Du sagst mir, dass du mich liebst, auf die verdammte Mailbox?» Er seufzte. «Ich sitze hier mit den ganzen blöden Unterlagen zu deinem Fall und …» Er brach ab und ließ den Blick durch das leere Zimmer wandern, ohne zur Kommode zu schauen. «Na ja, ich hätte dir einiges zu sagen, aber erst mal muss ich wissen, ob da wirklich du gesprochen hast. Wenn ja, und wenn du es wirklich ernst gemeint hast, dann ruf mich an. Und wenn das alles nur ein Irrtum war, weil du zu viel getrunken hast, tja, dann sehen wir uns am Mittwoch bei der Anhörung und regeln das ganz … professionell. Wobei ich ehrlich gesagt nicht weiß, wie ich das hinkriegen soll, aber egal. Also, ja, sag mir einfach Bescheid.»
Er drückte die Taste, die das Gespräch beendete, und starrte aufs Handy. Er spürte sein klopfendes Herz bis in die Kehle. Eine gefühlte Stunde lang saß er so da und ließ das dumme, schnurlose Telefon, das auf dem Obduktionsbericht von Marie Modic lag, nicht aus den Augen.
Aber sie rief nicht zurück.
46
F assungslos starrte C. J. auf das zappelnde weiße Plüschknäuel, das den Kopf aus dem riesigen, schön verpackten Geschenkkarton reckte. Die rote Schleife, die der Welpe um den Hals trug, war größer als sein ganzer Kopf. «Und das soll Menschen fressen?», fragte sie lachend, während der kleine Hund ihr das Gesicht leckte. «Das soll mal ein großer, böser Wachhund werden?»
«Aber klar», beharrte Dominick grinsend. «Noch wiegt sie nur fünf Kilo, aber wenn sie groß ist, dann wird sie ein gefährliches Ungeheuer von mindestens fünfzig
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