Argus #5
versteckte, würde sie nie erfahren, wer da draußen stand. Es war ein sonniger Sonntagnachmittag. Reiß dich zusammen, C. J., sonst drehst du noch völlig durch. Reiß dich zusammen und lass dich nicht gehen. Geh zur Tür und schau nach, wer da ist. Sie rappelte sich hoch und schlich auf Zehenspitzen, mit angehaltenem Atem, zum Spion. Ein Blick nach draußen, dann schob sie hastig den Riegel beiseite und öffnete.
Ein «Hallo» – mehr war gar nicht nötig.
Vor ihrer Tür, nur eine Handbreit von ihr entfernt, stand Dominick. Luna drängte sich an C. J. vorbei und sprang an ihm hoch, sodass er fast das Gleichgewicht verlor. Statt weiter zu bellen, leckte sie ihm das Gesicht und wedelte mit dem Schwanz. Dominick streichelte sie, dann sah er C. J. an. «Hallo» – mehr sagte er nicht, und sie brach in Tränen aus. Sie wollte es nicht, doch die Tränen kamen ganz von selbst. Und hörten gar nicht mehr auf. Es war wie eine fatale Mischung aus Angst, Stress, Zorn, Freude, Erleichterung, Schuldgefühlen, Unglück, Liebe, Trauer. Eine Milliarde unterschiedlicher Empfindungen stürzten gleichzeitig auf sie ein, und es war unmöglich, die Fassung zu bewahren. Schluchzend stand sie in der Tür, und von ihrer Hand tropfte Blut auf den Teppich.
Mit zwei Schritten war er bei ihr, und sie fiel ihm im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme, im Innersten zutiefst erschöpft. Und obwohl er so viele Gründe gehabt hätte, sie einfach fallen zu lassen, fing er sie auf und hielt sie fest. Keiner von beiden sagte ein Wort.
Dominick führte sie zum Sofa im Wohnzimmer und schaltete mit der Fernbedienung die Nachrichten aus. Dann sah er sich ihre Hand an, ging in die Küche und kam mit einem Geschirrtuch zurück, das er vorsichtig um ihre Hand wickelte. Und auch hier, auf dem Sofa, ihre Hand in seinem Schoß, hielt er sie noch fest, obwohl sie gar nicht mehr umfallen konnte.
«Manny Alvarez hat mich angerufen», fing er schließlich an und strich ihr eine tränennasse Haarsträhne aus dem Gesicht. «Ich wollte es dir nicht am Telefon sagen, deshalb bin ich hergekommen. Aber du hast die Nachrichten wohl schon gesehen.»
«Wie? Wie ist das passiert?»
«Sie haben ihm einen Deal vorgeschlagen, C. J. Die Staatsanwaltschaft. Er sollte ihnen Namen geben. Die Namen der Snuff-Club-Mitglieder.»
«Mein Gott.»
«Er hatte schon den Namen eines Richters vom Obersten Landesgericht Florida ausgespuckt, der anscheinend wesentlichen Anteil daran hatte, dass Bantling wieder zurück in die Todeszelle gekommen ist. Er war der Köder. Sie haben Bantling nach Miami verlegt, um die anderen Namen von ihm zu bekommen, und in dem Hurrikan ist er dann verschwunden. Man spricht von einem Fehler. Von einem Fehler der Gefängnisbehörde, aber ich weiß nicht, ob man das glauben kann.»
Am meisten Aussagekraft besaß das, was Dominick nicht sagte. Er sagte nicht: Mach dir keine Sorgen, er ist längst über alle Berge und außer Landes . Er sagte auch nicht: Du bist die Allerletzte, die er aufsuchen würde, weil er weiß, dass das FBI genau damit rechnet. Und er sagte auch nicht: Es wird alles gut. Er wird dich niemals finden. Nichts davon entspräche der Wahrheit, das wusste sie. Und sie wusste auch, dass er ihr etwas verschwieg.
«Was hat Manny noch erzählt? Das ist doch noch nicht alles, oder?»
«In Bantlings Zelle wurden Zeichnungen gefunden. Sie zeigen dich. Alle. Manny glaubt, er ist auf der Suche nach dir.» Dominick seufzte. «Und ich glaube das auch.»
C. J. nickte. Es gab nichts weiter zu sagen.
«Ich habe ihm nicht erzählt, wo du bist, aber glaub mir, du bist relativ leicht zu finden. Du musst an einen sicheren Ort. Ich kann das FBI verständigen. Wir bringen dich in ein Zeugenschutzprogramm, bis sie ihn gefunden haben.»
«Falls sie ihn überhaupt jemals finden, meinst du.»
«Es besteht immer noch die Chance, dass er das Land verlassen hat. Wir wussten doch immer, dass er irgendwo Geld gebunkert hat, wir konnten nur nie herausfinden, wo.»
C. J. schüttelte den Kopf. «So kann ich nicht leben. Seit ich aus New York weggegangen bin, habe ich die Regeln gemacht. Ich entscheide, wo ich wohne, wie es beruflich mit mir weitergeht und mit welchen Menschen ich mich umgebe, nicht die Bundesregierung. Ich habe keine Lust, irgendwo in Little Rock im Supermarkt den Boden zu wischen, nur damit er mich nicht findet, Dominick.»
«Diesmal ist es anders, C. J. Er will sich rächen. Davon träumt er seit Jahren. Und wir wissen beide,
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