Argus #5
warum.»
Dominick hatte recht. Doch sie konnte sich nirgendwo verstecken, und auch das FBI konnte sie nirgendwo verstecken, wo Bill Bantling sie nicht letztlich doch finden würde. Sie sah sich in ihrem Haus um, dachte an die Eier im falschen Kühlschrankfach und an die lauwarme Dusche am Morgen. Hatte er sie schon gefunden? Vernebelte ihr der Verfolgungswahn den Verstand? Oder konnte sie ihren hochsensibilisierten Instinkten vertrauen? Wenn sie in den vielen, vielen Jahren als Anklägerin eines gelernt hatte, dann, dass man immer gefunden wurde, wenn jemand nur eifrig genug suchte. Und dass man immer getötet wurde, wenn dieser Jemand das nur eifrig genug wollte. Wenn jemand Vergeltung zu seinem Lebensinhalt machte – zum Grund, morgens aufzustehen, zum Inhalt seiner Träume bei Nacht –, dann ließ er sich von nichts und niemandem daran hindern, zu suchen. Und letztlich auch nicht daran, zu finden.
Sie war es leid, ständig wegzulaufen. Vor ihrer Vergangenheit. Vor dem, was sie getan hatte. Vor irgendwelchen Psychopathen. Den Großteil ihres Lebens hatte sie mit Davonlaufen verbracht. Mit Davonlaufen und Sichverstecken. Sie wollte nicht mehr. Aber es gab nur einen Weg, dieses Ziel zu erreichen. Der Verfolgungsjagd ein für alle Mal ein Ende zu setzen.
Dominick hatte sich nicht verändert. Ein bisschen dünner vielleicht. Ein paar graue Strähnen mehr im braunen Haar. Aber er hatte immer einen tollen Körper gehabt, und den hatte er nach wie vor. Dazu das wettergegerbte, kantige, sonnengebräunte Gesicht eines Cowboys. Doch seinen braunen Augen waren die Belastungen des vergangenen Jahres deutlich anzusehen. Sie blickten müde, misstrauisch, zornig, traurig und distanziert. Einen Moment lang musterte er C. J., als müsste er vor seinen nächsten Worten erst einen inneren Kampf ausfechten. «Komm mit nach Hause», sagte er schließlich. «In Chicago kennen wir wenigstens Leute.»
Sie fuhr sich durchs Haar. «Aber die kennen uns doch gar nicht. Kein Mensch kennt uns. Du kannst nicht einfach irgendwem unsere Geschichte aufbürden, Dominick. So läuft das nicht. Und dann noch den ganzen anderen Ballast, den wir beide mit uns herumschleppen. Du kannst doch nicht Freunde um Hilfe bitten und ihnen dann eröffnen, dass möglicherweise ein Serienmörder hinter deiner Frau her ist.»
Der ganze andere Ballast .
«Dann reden wir doch über unseren Ballast, C. J. Wir wissen beide, worum es geht. Wir wissen beide, was ich getan habe. Und wir wissen beide, was du getan hast.»
Sie löste sich von ihm. «Ich kann das nicht.»
Er zog die Scheidungspapiere aus der Jackentasche und warf sie ihr in den Schoß. Dann stand er auf. «Und warum nicht? Warum läufst du immer weg? Warum läufst du vor mir weg? Sag mir endlich die Wahrheit. Mir ist es egal, wie sie aussieht, C. J., aber ich kann so nicht weitermachen. Ich halte das nicht mehr aus. Ich werde dich trotzdem beschützen, ich werde dich von hier wegbringen, ich werde Bantling aufspüren und ihn zur Strecke bringen, aber ich kann so nicht weitermachen. Sag mir, warum du vor mir wegläufst. Warum du vor uns wegläufst. Ich habe alles getan, was ich konnte, um dich zu schützen, um dir beim Vergessen zu helfen. Beim Weiterleben. Ich wünschte, ich brächte es fertig, wegzulaufen. Ich wünschte, ich könnte einfach weitermachen. Ich wünschte, ich könnte … aufhören, dich zu lieben, und mir jemand Neues suchen, aber … ich kann es nicht. Also sag’s mir endlich. Sag mir, dass du mich nicht mehr liebst, dann unterschreibe ich.»
«Das geht nicht.»
«Was geht nicht?»
«Ich kann dir das nicht sagen. Ich werde es dir niemals sagen können. Ich liebe dich nämlich mehr als alles auf der Welt. Ich vermisse uns, Dominick. Ich vermisse dich, jeden Tag, in jeder einzelnen Sekunde. Und die meisten dieser Sekunden verbringe ich damit, mir zu wünschen, ich wäre nie gegangen. Aber mein Kopf hat mir keine Wahl gelassen. Er wäre sonst explodiert. Ich schaue dich an, und ich sehe ihn . Oder nein – ich sehe, wie du mich anschaust und dabei ihn siehst. Du siehst Bantling. Du siehst den Clown. Du siehst die Polizeiberichte. Und du hast Mitleid mit mir. Das ist dein rationaler Umgang mit dem, was ich getan habe. Du hast Mitleid mit mir.»
«Ja, ich habe Mitleid mit dir. Ich weiß, was dieser Kerl dir angetan hat, und wenn ich könnte, würde ich ihn eigenhändig umbringen. Aber das kann ich nicht. Ich warte darauf, dass unser Rechtssystem es für mich erledigt, aber das
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