Argus #5
andere Wahl. Die Richterin hatte recht: Mit der Aufhebung des Durchsuchungsbefehls war der Fall im Eimer. Doch wenn sie wenigstens die Klage aufrechterhielt, dann konnte er gegen ihre Entscheidung Berufung einlegen und Zeit gewinnen. Es würde mindestens zwei Monate dauern, bis sich ein Berufungsgericht mit dem Fall befasste. Bis dahin konnte er sich überzeugende Argumente zu Manny Alvarez’ gesonderter Beurteilung von Marie Modics Glaubwürdigkeit einfallen lassen und die ganze Problematik mit der anonymen Quelle abschmettern. Außerdem gab ihm ein laufendes Berufungsverfahren vielleicht Zeit genug, Bantling wieder einzufangen und Lunders wegen der Snuff-Club-Morde anzuklagen.
«Euer Ehren, Talbot Lunders ist tatsächlich noch in weiteren Mordfällen tatverdächtig. Es gibt sogar Grund zu der Annahme, dass er Mitglied in einem international operierenden Snuff-Club ist.»
Die wenigen Zuschauer, die im Gerichtssaal saßen, schnappten nach Luft.
«Wie bitte?», fragte die Richterin ungläubig.
«Ein Snuff-Club. Ein Zusammenschluss von Einzelpersonen, die sich an der Jagd auf ausgewählte Opfer und in der Folge auch an deren Ermordung beteiligen. Die Morde werden per Live-Feed an ein Publikum übertragen, das sich aus den Mitgliedern dieses Clubs zusammensetzt. Zu den bisherigen Opfern gehören Ms. Skole und Ms. Vechio – das Opfer aus dem Videoclip – sowie die anderen ungeklärten Mordfälle, auf die Euer Ehren bereits verwiesen haben und die augenblicklich von der City of Miami untersucht werden. Daher auch mein Hinweis an das Gericht, dass es sich um eine laufende Ermittlung handelt. Die Tatsache, dass Mr. Lunders an dieser Unternehmung beteiligt ist, und sei es nur am Rande, kann letztlich zu weiteren Mordanklagen gegen ihn führen. Wenn Sie das aktuelle Verfahren jetzt abschmettern und den Angeklagten auch noch aus dem Hausarrest entlassen, bevor weitere Klagen erhoben werden können, gefährden Sie damit die Allgemeinheit. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass der Angeklagte sich ins Ausland absetzen wird, sobald er seinen Pass zurückbekommt.»
«Das ist doch absurd! Von dieser Sache hören wir zum ersten Mal!», ereiferte sich Justice Joe.
«Sie verlangen also von mir, Mr. Collier», sagte die Richterin, «dass ich den Angeklagten in dieser Mordsache festhalte, weil die dünne Beweislage, die mir bisher präsentiert wurde, Mr. Lunders irgendwann mit diesem Snuff-Club, von dem Sie da reden, und den anderen Morden in Verbindung bringen wird?»
«Ja.»
«Dann soll also ich meine Arbeit nicht richtig machen, damit Sie mehr Zeit herausschlagen können, um Ihre Arbeit zu machen, und das verbinden Sie mit der recht expliziten Drohung, dass ich die Schuld tragen würde an allem Schaden, den die Allgemeinheit durch den Angeklagten erleiden könnte, falls ich ihn freilasse?»
«Nein, so meinte ich das nicht …»
«Und ob Sie das so meinten. Seit wann wissen Sie von dieser angeblichen Mitgliedschaft in einem Snuff-Club, Mr. Collier?»
«Das kann ich nicht sagen. Damit befasst sich derzeit Ms. DeBianchi.»
«Aha … Ms. DeBianchi, die sich bereits mehrfach dadurch hervorgetan hat, dass sie die Hälfte der Fakten vor der Verteidigung zurückhält. Dann nehme ich einfach mal an, dass Sie schon seit geraumer Zeit davon wissen, daher auch der Brady-Verstoß. Was für Beweise haben Sie denn, um den Vorwurf der Snuff-Club-Mitgliedschaft zu erhärten? Und bitte sagen Sie mir, dass es diesmal tatsächlich Zeugen gibt. Und zwar welche, die noch in der Lage sind, auszusagen.»
«Ja, Euer Ehren, wir haben einen Zeugen», erwiderte Vance zögernd. Er bewegte sich auf deutlich dünnem Eis. Wenn Bantlings Name fiel, würde das durch die gesamte Presse gehen. Überall.
«Verlangen Sie jetzt nicht von mir, dass ich Ihnen vertraue», fauchte die Richterin. «Der Zug ist abgefahren.»
Er hatte schon mehr als genug gesagt. Und mehr als genug verraten. Aber er konnte nicht zulassen, dass Lunders freikam. Bantling war verschwunden, Richter Lepidus tot und Lunders die einzige Verbindung zu dem Snuff-Club, von der sie wussten. Wenn er sich absetzte und zu Papa in die Schweiz reiste, gab es keine Möglichkeit mehr, weiter gegen ihn zu ermitteln.
«Ich möchte den Namen des Zeugen zum jetzigen Zeitpunkt nicht preisgeben, Euer Ehren. Die Ermittlungen laufen noch. Es stehen Menschenleben auf dem Spiel.»
Die Richterin nickte nachdenklich. «Gut. Dann spreche ich selbst mit dem Zeugen, in meinem Büro. Wenn ich
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