Argus #5
haben, Manny. Jemand, der meinen Garten gesehen hat. Jemand, der bei mir zu Hause war.»
Manny runzelte die Stirn. «Okay. Jetzt verstehe ich, was Sie denken und warum Sie ein bisschen paranoid sind, aber …»
Sie war noch nicht fertig. «Und heute Morgen, als ich nach unten gekommen bin, habe ich die Jalousien in der Küche hochgezogen – und alles war weg.»
«Sie meinen tot?»
«Nein. Ich meine weg . Jemand hat meine Rosen abgeschnitten. Die anderen Blumen nicht. Nur die Rosen. Die, die noch nicht eingegangen waren. Von meinem Garten ist nichts mehr übrig als ein paar dornige Stängel.» Sie sah beiseite. «Ich dachte, es war vielleicht ein Nachbar, der was gegen mich hat. Vielleicht habe ich ihm den Parkplatz weggeschnappt oder so was, oder ich habe ohne nachzudenken meine Handtücher über das Balkongeländer gehängt, wer weiß, worüber sich manche Leute aufregen? Aber jetzt …» Sie sah ihn wieder an. «Verdammt, Manny – was soll ich denn sonst denken?»
20
Santa Barbara, Kalifornien
R ichard Kassner sah nicht aus wie ein kaltblütiger Mörder.
Konservativ gekleidet mit anthrazitgrauem Anzug, weißem Hemd und hellblauer Krawatte, das dunkle Haar sorgfältig gescheitelt und gekämmt, die pummeligen Hände fromm vor sich auf dem Tisch gefaltet, sah der vierzigjährige Fisher-Price-Manager wirklich nicht aus wie jemand, der absichtlich sein Haus in die Luft zu jagen versuchte, nachdem er seine Frau und seine gehbehinderte Schwiegermutter darin eingeschlossen hatte. Andererseits wusste Assistant District Attorney Christina Towns von der Bezirksstaatsanwaltschaft Santa Barbara besser als jeder andere, dass die äußere Erscheinung vor Gericht nicht nur irreführend sein konnte, sondern auch sehr vorteilhaft, wenn effektvoll eingesetzt. Und Mr. Kassner wusste, wie er das unschuldige Knabengesicht, das der liebe Gott ihm geschenkt hatte, am besten einsetzte. Den ganzen Tag hatte er mit mehreren weiblichen Geschworenen Lächeln und verständnisvolle Blicke ausgetauscht – sogar während des haarsträubenden Berichts seiner inzwischen geschiedenen Frau. Aus irgendeinem Grund kam er bei den Geschworenen besser an als die Ex. Um die Titanic noch vom Kurs abzubringen, musste Christina den Einsatz erhöhen. Und das Haarsträubende.
Doch das würde bis nächste Woche warten müssen.
«Haben Sie noch weitere Fragen, Ms. Towns?», fragte der Richter mit einem Blick zum Anklagetisch. Auch die Geschworenen sahen zu ihr herüber. Es war nach fünf am Freitagnachmittag. Alle hofften auf die gleiche Antwort.
«Nein, Euer Ehren», erklärte Christina. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war der Unmut der Geschworenen, weil sie ihnen die Happy Hour versaute. «Wir behalten uns das Recht vor, Jessica Kassner noch einmal aufzurufen.»
«Na schön», sagte der Richter. «Am Dienstagmorgen um neun Uhr fahren wir fort.» Er nickte dem Gerichtsdiener zu, der sich anschickte, die Geschworenen hinauszuführen. «Bis dahin vertagen wir. Genießen Sie das lange Wochenende. Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen vierten Juli!»
Während sich der Gerichtssaal leerte, beendete Christina ihre Notizen und suchte die Papiere zusammen, von denen sie einen Teil in die lederne Posttasche schob, die ihr vor Jahren ihre Mutter geschenkt hatte, und den Rest in einen Pappkarton legte, den sie auf einen Handwagen stellte. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie der Angeklagte, der gegen Kaution auf freiem Fuß war, sich eine Träne aus dem Augenwinkel tupfte, seine neue Frau umarmte und seinem Neugeborenen einen zärtlichen Kuss gab. Einige der älteren Stammgäste, Rentner, die ihre Tage am liebsten im Gericht verbrachten, sahen dem herzzerreißenden Publicity-Trick aus dem Zuschauerraum zu. Ihr Mitleid war aus zehn Metern Entfernung zu spüren. Glücklicherweise waren die Geschworenen schon draußen. Angeführt von Mr. Kassners teurem Anwalt, machte sich die junge Familie schließlich Hand in Hand auf den Weg aus dem Saal. Dann drehte sich der rührselige Spielzeughersteller, den manche der Geschworenen sich nur schwer als gewalttätigen psychopathischen Sadisten vorstellen konnten, noch einmal um und warf Christina über die Schulter einen bösen Blick zu – wie der Teufel in einem Film, dessen Augen rot aufleuchten und dessen Zähne gelb werden, wenn niemand sonst hinsieht.
Ihr Herz schlug schneller, doch sie ließ sich nichts anmerken und sah ihm nach, ohne seinem drohenden Blick auszuweichen, bis sich die Tür hinter ihm
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