Argus #5
Staatsanwaltschaft lag, aber die Verhandlung heute hatte spät begonnen, und als sie kam, war das Parkhaus schon besetzt gewesen. Die einzigen Parkplätze, die in der Lobero Garage auf der Canon Perdido Street noch frei waren, waren die auf dem Dach. Ihre Nackenhaare sträubten sich, als sie, das Schlüsselbund zwischen den Fingern wie eine Waffe, den Fahrstuhlknopf drückte.
Nach der Vergewaltigung hatte sie jahrelang das Haus nicht verlassen können. Sie hatte keine Straße hinuntergehen, kein Restaurant besuchen, in kein Fitnessstudio gehen können. Nichts von den normalen Dingen tun, die normale Leute taten. Sie hatte wie eine Gefangene in ihrem New Yorker Apartment gesessen, bei heruntergezogenen Jalousien, die Pistole auf dem Schoß, die Lämpchen der Alarmanlage an der Wohnungstür Tag und Nacht rot blinkend. Die Alarmanlage war immer aktiviert. Um sich aus diesem Gefängnis zu befreien, hatte sie intensive Therapie gebraucht. Tag für Tag arbeiteten die Ärzte daran, Christina zurück in die Normalität zu holen, wieder die offene, unternehmungslustige, zutrauliche junge Frau aus ihr zu machen, die sie einst gewesen war. Leider war das nicht ganz gelungen.
Sie seufzte erleichtert, als die Fahrstuhltür vor ihr aufging und niemand in der Kabine war. Dann trat sie ein und drückte hastig auf den Knopf zum Dachgeschoss, während sie die Luft anhielt, bis die Tür wieder geschlossen war. Sie hätte den alten Joe bitten können, sie zu begleiten, aber das wäre ihm sicher albern vorgekommen. In Santa Barbara passierte nichts. Sie waren hier nicht in L.A. oder New York oder Miami. Vielleicht hätte er angefangen, Fragen zu stellen, und sie hätte ihm irgendwas vorlügen müssen. Es war das Beste, die Beziehungen auf ein Minimum zu reduzieren, damit niemand zu Schaden kam. Sie hängte sich die Tasche über die Schulter. Neben dem Schlüsselbund in der Hand hatte sie eine Dose Pfefferspray in der Jackentasche. Nur für den Fall.
Als sie Miami hinter sich ließ, hatte sie auch ihren Beruf hinter sich gelassen, aber sobald sich in Santa Barbara die Möglichkeit ergab, war sie wie ein Junkie frisch nach dem Entzug in den Gerichtssaal zurückgekehrt, um sich ihre tägliche Dosis Adrenalin abzuholen, obwohl sie wusste, dass sie daran sterben konnte. Die Monster, die ihr solche Angst machten, die sie abstießen, die sie, da war sie sich sicher, umbringen würden, falls sie Gelegenheit dazu hätten, zogen sie gleichzeitig magisch an. Sie konnte nicht anders. Und seltsamerweise konnte sie besser schlafen, wenn sie als Anklägerin arbeitete. Wenigstens in den meisten Nächten.
Die Fahrstuhltür öffnete sich auf dem dritten Parkdeck. Es war längst sechs Uhr vorbei, und nur drei Autos standen noch dort. Christina sah sich verwundert um. Ihr Explorer war nicht dabei. Sie stand eine Weile dort, eine Hand in der linken Tasche, das kalte Aluminium der Pfefferspraydose umgreifend, während ihr Gehirn sich die Situation zu erklären versuchte.
Vielleicht habe ich in einer anderen Etage geparkt. Vielleicht ist er abgeschleppt. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.
Dann sah sie es ein, wie es irgendwann alle Opfer einer Straftat tun: Ihr Wagen war fort. Sie begann zu zittern.
C. J. Townsend hatte gerade das nächste Level des Spiels erreicht.
21
O kay, okay. Andiamo! Blas die Kerzen aus, Frank», drängte Lena DeBianchi, Darias Mutter, ihren Mann ungeduldig, als der versammelte DeBianchi-Clan den letzten Ton von «Happy Birthday» gesungen hatte. «Die Kerzen! Herrgott noch mal – sie schmelzen doch über den ganzen Kuchen! Und der Kuchen schmilzt über den ganzen Tisch … Eine Eistorte! Wer hatte denn die Idee?», fragte sie mit einem künstlichen Lachen. «Sagt nichts. Ich kann mir schon denken, wer auf solche Schnapsideen kommt …»
Darias Vater, ein schiefes Lächeln auf den Lippen, überlegte einen Moment, dann winkte er Daria heran.
Daria hockte sich neben seinen Rollstuhl. «Soll ich dir helfen, Papa? Hast du dir schon was gewünscht?»
Ihr Vater nickte und drückte ihre Hand.
«Kommt, Jungs, helft Nonno, die Kerzen auszublasen», rief Daria den Drillingen zu, die ausnahmsweise ein paar Sekunden nicht durchs Haus rasten wie tollwütige Eichhörnchen, weil es Geburtstagstorte zu essen gab. «Dann kriegen wir alle ein Stück. Kommt ganz nah zu Nonno.» Sie merkte, wie ihre Mutter gegenüber am Tisch unbehaglich auf ihrem Stuhl herumrutschte. «Stellt euch hier drauf, Jungs, dann könnt ihr besser
Weitere Kostenlose Bücher