Argus #5
sehen.»
«Auf die Stühle? Wirklich?», fragte Lena mit einem weiteren nervösen Lachen.
«Du hast doch noch die Plastikschutzbezüge drauf, Ma. Da kann nichts passieren. Sonny, komm zu mir.» Sie packte einen der Drillinge, der sich gerade mit offener Faust auf die Torte stürzen wollte. «Michael, Fredo, wartet auf uns. Okay, ich zähle bis drei …»
Mit unglaublicher Pustekraft und magischer Drillingsspucke halfen sie Nonno, die zusammengewürfelten Kerzen auszublasen, die Daria und ihr Bruder Marco in der Küchenschublade gefunden und in die Eistorte gesteckt hatten, mitsamt der dicken roten Stumpenkerze von Weihnachten, die Daria in der Mitte platziert hatte. Es waren zwar keine sechsundsechzig Kerzen, aber es war dennoch ein imposantes Feuerwerk, und die Gefahr bestand, dass nach dem Ausblasen der Rauchmelder losging. Doch die Sorge währte nur kurz, denn noch bevor alle Beteiligten Zeit hatten, wieder Luft zu holen, hatte Lena DeBianchi die Torte bereits abgeräumt und in die Küche gebracht und dabei eine Tirade von italienischen und englischen Flüchen vor sich hin gemurmelt.
«Bravo, Papa», sagte Daria und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. «Ich weiß, was du dir gewünscht hast. Das wünsche ich mir auch.»
«Danke», flüsterte er.
«So, und jetzt brauchst du Kalorien. Es gibt nichts Besseres als Eiscreme, um zu Kräften zu kommen.»
«Kaffee.»
«Ich besorge dir einen.»
«Hey, D.», sagte Marco zu Daria, als sie zur Küche ging. «Könntest du vielleicht Dienstag auf die Jungs aufpassen, so um halb sieben? Unser Babysitter hat keine Zeit, aber CeCe hat Spätschicht, und ich bin mit dem Dekan der Nova zum Kaffee verabredet.» Nova stand für die Nova Southeastern University in Davie. «Es dauert nicht lang, das verspreche ich.»
«Der Dekan der Nova? Wieso das?», fragte sie.
«Ich versuche da zu unterrichten. Nur ein Abendkurs. Der Kaffee mit dem Dekan ist so was wie mein letztes Vorstellungsgespräch. Heißt wahrscheinlich, ich habe den Job.»
«Toll, Marc, aber ich kann nicht. Vielleicht kann Anthony einspringen», erklärte Daria und warf einen Blick zu ihrem anderen Bruder. «Ich habe schon was vor. Und ich glaube, es könnte spät werden, bis ich wieder in der Stadt bin.»
Marco lachte. «Anthony würde ich nicht mal das Frettchen anvertrauen, geschweige denn die Jungs.»
«Kein Problem. Ich nehme die Nominierung sowieso nicht an. Die Corleone-Jungs heute auf Zucker zu erleben, ist mir aufregend genug. Und auf die Ratte passe ich auch nur auf, wenn ich Ralphie mitbringen darf. Er hat seit zwei Wochen nichts zu fressen bekommen. Die Kiddies würden was über die Natur lernen, dagegen kann auch die Müslikönigin nichts haben», erklärte Anthony mit einem Blick auf Marcos Frau CeCe, die Alternative in der Familie.
«Frettchen gehören zur Familie der Wiesel», berichtigte ihn CeCe scharf, während sie versuchte, einem der Jungs, den sie beim Rennen um den Tisch abgefangen hatte, den Turnschuh wieder anzuziehen. «Sitz still, Sonny. Und deine Boa Constrictor ist nicht willkommen, wenn die Kinder da sind. Wofür hält sich ein Mann in deinem Alter eine zweieinhalb Meter lange Schlange als Haustier? Kompensierst du etwas, Anthony?»
«Warte mal, Daria», sagte Marco. «Hast du gesagt, du verlässt die Stadt? Montag ist der vierte Juli, du fährst also übers Wochenende weg? Nachtigall, ick hör dir trapsen …»
Jetzt horchte auch Anthony auf und klopfte sich auf den Schenkel. «Sie wird rot. Es ist ein Mann! Sie fährt übers Wochenende mit einem Mann weg!» Er faltete die Hände wie zum Gebet. «Danke, Daria! Wir haben uns alle schon so unsere Gedanken gemacht. Also, nicht ich, aber die Müslikönigin. Sie will unbedingt wissen, ob sich alle in der Familie wie Kaninchen vermehren.»
«Du bist wahnsinnig witzig, Anthony», entgegnete CeCe genervt, während Sonny sich befreite und ohne seinen Nike weiterrannte. Mit rotem Kopf wandte sie sich an Daria. «Ich habe dich nie für eine Lesbe gehalten.»
Daria verdrehte die Augen. «Halt die Klappe, Anthony. Wer hat behauptet, dass ich übers Wochenende wegfahre? Außerdem ist es hier drin wie in einer Sauna. Ich bin nicht rot, mir ist nur heiß.» Ihre Mutter benutzte die Klimaanlage so gut wie nie, und wenn, dann stellte sie sie auf fünfundzwanzig Grad ein. Lena DeBianchi glaubte an Durchzug und frische Luft, denn so war sie vor sechzig Jahren in Brooklyn aufgewachsen. Wäre das Dach nicht spitz und hätte nicht die akute Gefahr
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