Argus #5
Polizeiberichte. Geben Sie ihm das Video. Ich möchte nicht mal die Andeutung eines Gerüchts hören, dass Sie Beweismittel zurückhalten, sonst bin ich die Erste, die eine Beschwerde gegen Sie einreicht. Keine Verurteilung ist es wert, dass Sie dafür Ihren Charakter opfern.»
Varlack roch seine Chance. «Euer Ehren, ich möchte noch einmal auf die Kaution zurückkommen. Sie sagten, Sie würden die Sache erneut prüfen, wenn es neue Informationen gibt. Ich denke, dieser Fall liegt jetzt vor.»
«Ja, das habe ich gesagt», antwortete die Richterin.
«Mr. Lunders muss in der Lage sein, an seiner Verteidigung mitzuwirken. Er hat keine Vorstrafen, nicht mal einen Strafzettel. Er ist bereit, seinen Pass abzugeben und eine elektronische Fußfessel zu tragen. Und natürlich eine erhebliche Kaution zu hinterlegen.»
«Natürlich.» Richterin Becker nickte.
«Euer Ehren, Richter Steyn hat das alles schon gehört …», protestierte Daria.
Doch die Richterin winkte mit ihrer rot lackierten Klaue ab. «Vielleicht sehen Sie darin einen Anreiz, sich in Zukunft dem Gericht und der Verteidigung gegenüber kooperativer zu verhalten. Sie haben Glück, dass wir uns noch nicht in der Hauptverhandlung befinden, denn sonst würden Sie jetzt in einer Zelle sitzen. Hiermit wird dem Angeklagten eine Kaution in Höhe von einhunderttausend Dollar gewährt. Falls der Angeklagte die Kaution hinterlegt, verpflichtet er sich dazu, bis zur Verhandlung eine elektronische Fußfessel zu tragen, und er steht unter Hausarrest. Damit sind wir für heute fertig.»
Die Richterin rauschte von der Richterbank, bevor noch jemand etwas sagen konnte, und ihr Talar blähte sich, als sie hastig durch die Tür zum Richterzimmer verschwand. Die fiel knallend hinter ihr zu.
Daria stand am Tisch der Staatsanwaltschaft und war wie vor den Kopf gestoßen. Die Kaution war Sache der verhandelnden Richterin, sie konnte also keinen Einspruch erheben. Sie musste damit leben.
Talbot Lunders war aus der Haft entlassen. Er war ein freier Mann.
Und es war alles ihre Schuld.
32
P atricia Susanna Graber war die Geschädigte in einem von Richter Lepidus’ Fällen aus dem Jahr 1997, als er noch Verteidiger war.» Mike Dickerson saß mit einer Pobacke auf seinem Lieblingsplatz, auf Mannys Schreibtischkante, und sah Manny über den Brillenrand an.
Manny beugte sich vor. «Erzähl weiter.»
«Es ging um einen Raubüberfall. Angeklagt waren zwei Berufsverbrecher aus Miami, ein Lazaro Nefaris und ein Ricky Reeder. Laut Gerichtsakte hatten sie eigentlich vor, ins Nachbarhaus einzubrechen, wo in der Küche ein Meth-Labor war, und es auszurauben, aber die Jungs landeten aus Versehen im falschen Haus. Im Haus von Joel und Emily Nachwalter.
Zu ihrem Pech hatte sich Ms. Graber just diesen Abend ausgesucht, um ihrer Tante und ihrem Onkel einen Besuch abzustatten. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Alle, die sich im Haus aufhielten, wurden gefesselt und geschlagen, und die dreiundzwanzigjährige Patty wurde von den beiden Neandertalern begrabscht, während sie die Bude verwüsteten, auf der Suche nach dem Drogengeld, das im Nachbarhaus gezählt wurde. Nefaris, der Neandertaler mit dem Gewissen, realisierte irgendwann, dass sie sich mächtig was zuschulden kommen ließen, und eiste Reeder los, bevor es noch schlimmer wurde. Fingerabdrücke führten die Ermittler vom Broward County Sheriff’s Office zu Nefaris, und Patty Graber identifizierte beide und besiegelte damit ihr Schicksal. Nefaris gestand und bekam zwanzig Jahre; Reeder ging vor Gericht. Patty sagte gegen ihn aus, und der Richter gab ihm lebenslänglich.»
«Wo sind sie jetzt?»
«Nefaris kam 2009 raus und starb vier Monate später an Aids. Reeder sitzt noch im Union Correctional.»
«Und Patty Graber?»
«Ihre Leiche wurde 1999 auf einer Baustelle in einem Müllcontainer gefunden. Sie wurde vergewaltigt und erwürgt.» Mike warf Fotos der Leiche über den Tisch. «Es hat nie eine Verhaftung gegeben. Keine Verdächtigen. Es wurde auch nach Verbindungen zu Reeder oder Nefaris gesucht, man hat aber keine gefunden. Beide Jungs waren zu der Zeit noch im Knast.»
«Mikey, ich nehme alles zurück, was ich je über dich gedacht habe. Wie hast du den ganzen Mist rausgefunden?», fragte Manny.
«Archivsuche und Handarbeit, weil die Fälle im Computer nicht über die Namen von Opfern oder Zeugen verlinkt sind, sondern nur über die Angeklagten. Ich habe auch in den Zeitungen recherchiert und Pat Graber gegoogelt, aber
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