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Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)

Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)

Titel: Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenk Saborowski
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Morgen)
    Lila beugte sich in einer dunklen Ecke des Bahnhofs über ihre Tasche und zählte ihr Geld. Elf Euro und achtundfünfzig Cent. Plus neunhundertfünfzig Lei. Sie versteckte die Scheine in der Tiefe ihrer Hosentasche. War es richtig? Alles auf eine Karte zu setzen? Hatte sie eine Wahl? Sie löste sich aus der Nische zwischen einer Bäckerei und einem Blumenladen und irrte durch die Halle, zwischen den Menschenmassen hindurch, die zu ihren Zügen eilten. Lilas Ziel war ein kleines Fenster an der Stirnseite der Gleise mit einer blau-weiß-gelben Leuchtreklame über der Scheibe. »Cambio, Money Exchange, Best Rate«. An der Seite hing ein Schild mit dem Umrechnungskurs der wichtigsten Währungen. Der moldauische Leu war nicht aufgeführt. Ein Mann rammte ihr seine schwere Umhängetasche in den Rücken, als sie unvermittelt stehen blieb. Er murmelte eine Entschuldigung und hetzte weiter. Der Strom der Menschen teilte sich hinter Lila und floss vor ihr wieder zusammen wie ein Schwarm Heringe. Lila hatte zwei Tage nachgedacht, bevor sie sich zu diesem Schritt entschlossen hatte. Sie konnte nicht ewig so weitermachen, irgendwann würden die kurzen Schlafphasen auf den Bänken am Bahnhof oder im Park an ihren Kräften zehren. Es war die richtige Entscheidung, auch wenn sie das Risiko des Scheiterns mit sich brachte. Sollte Lilas Plan nicht aufgehen, führte der einzige Weg steil nach unten. Von der Bettlerin zur Flüchtigen. Wie tief konnte man fallen? Mit zitternden Knien trat sie vor das Fenster.
    Hinter der Scheibe saß eine dicke Frau auf einem Drehstuhl und starrte in die Schalterhalle. Als sie Lila bemerkte, drückte sie einen roten Knopf neben einem Mikrofon, das in die Tischplatte eingelassen war. Lila fummelte die sorgfältig zusammengefalteten Scheine aus ihrer Hosentasche und legte sie auf einen Drehteller. Die Frau in der viel zu engen Weste konzentrierte sich weiterhin auf das Geschehen hinter Lila, als sie den Schalter umlegte und Lilas Geld verschwand.
    »Vierzig Euro und dreißig Cent«, sagte sie und deutete auf ihre Kasse. Lila vermutete, dass es zu wenig war für ihre Neunhundertfünfzig Lei. Irgendjemand musste die dicke Frau davon bezahlen, und es war klar, dass es von Lilas Geld abgezogen wurde. Lila nickte. Sie schluckte, als die Frau vier Zehn-Euro-Scheine abzählte und drei Zehn-Cent-Stücke dazulegte. Zusammen mit ihrem Erbettelten war ihr Vermögen auf einundfünfzig Euro und achtundachtzig Cent angewachsen. Sie nahm die Scheine mit einem kleinen weißen Zettel von dem Drehteller. Die eine Hälfte steckte sie in die enge Hosentasche, die andere verschwand in dem Umschlag und wanderte zwischen ihre Klamotten. Es fehlte noch, dass sie heute jemand ausraubte. Dann drehte sie sich um und reihte sich in den Strom der Menschenmassen ein, die sich Richtung Ausgang schoben.
    Den ersten Teil ihres Geldes gab sie in einem der Geschäfte aus, die an ihren Schaufenstern dafür warben, dass jeder Artikel für einen Euro zu haben war. Nach über einer halben Stunde in dem hell erleuchteten Laden stand sie mit ihrer Ausbeute an der Kasse: ein knallroter Lippenstift, ein weißer BH, Nagellack und Wimperntusche. Vier Euro weniger. Dann lief Lila auf die andere Seite des Bahnhofs, den sie mittlerweile gut kannte, und mietete in einem Hostel ein Zimmer für neun Euro die Nacht. Es war das billigste in der ganzen Gegend, und es war sauber. Sie hatte es ausgerechnet: Das Zimmer brachte ihr ein paar Stunden Schlaf, und es gab ein Bad und eine Waschmaschine. Der Waschsalon und die öffentliche Dusche hätten vier Euro weniger gekostet, minus die Ruhe. Wenn sie schon alles auf eine Karte setzte, dann würde sie es richtig machen. Sie stopfte das Restgeld in ihre Lederjacke und legte sie unter ihr Kopfkissen, obwohl sie das Sechsbettzimmer für sich alleine hatte. Niemand buchte ein Hostel, um den Tag auf dem Zimmer zu verbringen. Keine zwei Minuten nachdem sie die Decke bis zum Kinn hochgezogen hatte, war Lila eingeschlafen.
    Gegen fünfzehn Uhr wurde sie von einem Geräusch auf dem Flur geweckt. Eine Schülergruppe zog vor ihrer Zimmertür vorbei, ein paar von ihnen traten gegen die dünne Wand. Lila gähnte, als sie ins Bad schlich und ihre Lederjacke mit dem Geld an einen Haken neben dem Waschbecken hängte. Die erste heiße Dusche seit über vier Tagen würde sie aufwecken. Als das Wasser auf ihren Kopf prasselte, kalkulierte Lila noch einmal ihre Chancen. Ihr war klar, dass es nur funktionierte, wenn sie so

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