Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
gut aussah, wie es möglich war. Vor dem Spiegel kämmte sie ihre frisch gewaschenen Haare und steckte sie zu einem Dutt. Sie schminkte ihre Augen, trug den knallroten Lippenstift auf, der ihren blassen Teint noch ein wenig blasser aussehen ließ. Sie betrachtete ihren Körper im Spiegel in der kurzen Jeans und dem T-Shirt mit der amerikanischen Flagge. Sie sah viel erwachsener aus, als sie sich fühlte. Dann zog sie die Lederjacke darüber und schlüpfte in die hochhackigen Schuhe. Mein größtes Kapital sind die Sachen von Radu, schoss es ihr durch den Kopf. Die Sachen aus dem Kaufhaus in Bukarest. Wäre Radu nicht gewesen, hätte ihr Plan keinerlei Aussicht auf Erfolg. Allerdings musste sie sich eingestehen, dass sie ohne Radu auch nicht in diese ausweglose Situation geraten wäre.
Lila verließ das Hostel mit ihrer Tasche unter dem Arm und achtunddreißig Euro und achtundachtzig Cent. Zeit, herauszufinden, ob sie klug investiert hatte.
Um siebzehn Uhr saß sie auf der Treppe im Innenhof der New Models Agency und wartete. Sie beobachtete die jungen Frauen, die ein und aus gingen, bis es dunkel wurde. Die Rothaarige mit den Tattoos lief an ihr vorbei, ohne sie zu beachten. Als das Licht im ersten Stock erlosch, stand Lila auf und wartete in dem dunklen Hauseingang.
Der Fotograf würdigte sie keines Blickes, als er mit dem klimpernden Schlüsselbund in der Hand sein Büro verließ. Lila löste sich von der Wand. Sie hatte keine Wahl. Sie wusste, dass er ihre Absätze auf dem Pflaster klappern hören musste. Er wollte nicht mit ihr reden. Er lief durch den Torbogen, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. Dann blieb er stehen.
»Was willst du?«, fragte er.
Lila schwieg. Sie stand einfach nur da und versuchte, sie selbst zu sein. Sie stellte ihre Tasche auf den Boden neben ihre Schuhe. Über sein Gesicht huschte der Hauch eines Lächelns.
»Liliana, nicht wahr?«
Sie nickte.
»Was ist los mit dir, Liliana? Hast du kein Zuhause?«
Sie kannte die Bedeutung der Worte nicht, aber sie wusste, dass sie ihm gefiel. Er sah sie an, wie Radu sie am Mittsommerfest angesehen hatte. Nur sehr viel direkter. In seinen Blicken lag etwas, das Lila nicht kannte. Sie versuchte, sehr erwachsen auszusehen. Seine Augen blieben an ihren roten Lippen hängen. Hatte sie das nicht gewollt? War es nicht das gewesen, auf das sie spekuliert hatte? Sie ließ seine Blicke über sich ergehen, weil es das Einzige war, was ihr einfiel.
»Komm, ich lade dich zu einem Drink ein«, sagte er schließlich.
Lila griff nach ihrer Tasche. Er nahm sie mit. Der erste Teil ihres Plans hatte funktioniert.
KAPITEL 76
München, Deutschland
Mittwoch, 31. Juli 2013, 16.01 Uhr (am selben Tag)
Das Auswärtige Amt glich einem Taubenschlag, und Paul Regen kam sich vor wie ein Scheunenfund. Wie ein alter, aber stolzer Sportwagen von 1967, der seit Jahren in einem Schuppen vor sich hin rostete und den ein Enkel des ehemaligen Besitzers jetzt mit zweihundert Sachen über die Autobahn trieb. Ein alter Porsche 912 zum Beispiel, mit chromglänzenden Stoßfängern, der würde ihm zumindest gefallen. Die Leute, die Solveigh Lang mit in sein Team gebracht hatte, waren allerdings eine willkommene Abwechslung. Der Mann, der im Rollstuhl saß, war etwa in Paul Regens Alter und war unverkennbar der Computerexperte der Gruppe. Der Junge, der aus Warschau gekommen war, hieß Dominique Lagrand und war ein blondes, schmächtiges Kerlchen. Solveigh behauptete, er hätte vor einem Jahr einen Fall fast alleine mithilfe mathematischer Formeln gelöst. Ausgefeilte Statistiken hatten ihm der Legende nach verraten, wer die Täter sein mussten und wo sie als Nächstes zuschlagen würden. Paul Regen hatte seine Zweifel an derartigen Wundermitteln, aber mit Kritik an fragwürdigen Ermittlungsmethoden kannte er sich aus. Einzig die Ergebnisse konnten Zweifler überzeugen. An seine Assoziationsketten hatte schließlich auch niemand geglaubt außer Frau Auch. Und auch die hatte oft genug geflucht, wenn Paul sie auf eine falsche Fährte gelockt hatte. Aber vielleicht hatte er bald Gelegenheit dazu, seine assoziative Investigation unter Beweis zu stellen. Seit über einer Stunde tauschten sie ihre Theorien zu dem Fall aus. Und dieser Spanier Eddy Rames hatte mit seinem Zauberkasten Erstaunliches herausgefunden.
»… aber wie sollen wir das nachweisen?«, fragte Solveigh Lang. Sie saß auf dem Schreibtisch, auf dem der Spanier sein illustres Arsenal an Monitoren aufgebaut hatte.
»Wir
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