Aries
Entsetzt über diese Intensität, wendete ich mich ab. Marie sah meinen Schmerz und drehte sich Sophie zu. Ihre Augen glühten vor Zorn. So viel Macht hatte ich noch nie in Maries Augen gesehen. Ich starrte sie verdutzt an. Sogleich erlosch das Glühen und sie zog mich am Arm weiter. Von einem Augenblick zum Nächsten hatte Marie sich wieder in der Gewalt.
Sprachlos kuckte ich Aries an. Auch in seinen Augen leuchtete ein letztes Aufglimmen. Dann erlosch es. Und mit dem schönsten Lächeln der Welt widmete er sich seinen Zuhörern. Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Um mich zu vergewissern, dass ich nicht meiner Fantasie aufgesessen war, sah ich Sophie an. Kreidebleich bemühte sie sich um Fassung. Ich lächelte erstaunt. Marie nahm meine Hand und wir stiefelten los. Sophie folgte als Letzte.
Als wenn nichts vorgefallen wäre, nahm Marie ihren Naturkundeunterricht wieder auf. Den Vorfall hatte ich bald vergessen. Aries bemühte sich um den Rest der Klasse. Es schien allen zu gefallen. Ihr Lachen war weithin zu hören. Nur Sophie trabte still, weit hinter uns her. Die Zeit verging. Und als wir an unserer Blockhütte ankamen, war es dunkel. Wir hatten Hunger
und begaben uns sogleich in den Speisesaal. Mein Bauch knurrte und als ich die Vorsuppe gelöffelt hatte, bemerkte ich erst, wie hungrig ich wirklich war. Ich holte mir Nachschlag.
>> Fränni du futterst ja wie eine siebenköpfige Raupe. <<, feixte Marie und ich lachte ausgelassen mit. Mir war so leicht zumute und es schmeckte hervorragend. Auch Marie hatte sich ihren Teller vollgeladen und wir stopften, als wenn es unsere letzte Mahlzeit wäre. Satt hielt ich meinen Bauch fest und kam mir vor, wie bei Max und Moritz, wo der Eine ein Hühnerbein, das sie von der Witwe Bolte gestohlen hatten, aus seinem Mund ragen ließ, weil nichts mehr hineinging. Ermattet sank ich auf meinen Stuhl zurück.
>> Puuuhhh. <<, stöhnte ich zufrieden.
>> Willst du mit zu Aries gehen, wenn ich mit ihm rede, oder lieber schon aufs Zimmer? <<, fragte Marie in diese Wohligkeit hinein. Schlagartig änderte sich meine Laune.
>> Es muss sein, oder? <<
Mein trauriges Gesicht sagte mehr als tausend Worte.
>> Du hast gesehen, was heute passiert ist. Wir müssen das Schicksal nicht herausfordern. <<, sagte Marie ernst. >> Er ist ja nicht aus der Welt, und wenn wir zuhause sind, siehst du ihn wieder. Versprochen. <<, und kopfschüttelnd setzte sie fort. >> Wie konnte das nur passieren? <<
>> Keine Ahnung. <<, prustete ich los und Marie fiel in meinen Lachanfall ein. Wir lachten beide über den Aberwitz der Situation, bis uns die Tränen kamen.
>> Nimmst du meine Teller mit? <<, fragte sie schnaufend. Ich konnte nur nicken. Tränen liefen über meine Wangen. Marie sah mich forschend an, stand auf und ging aus dem Saal.
Mir war klar, dass meine Tränen nicht nur vom Lachen kamen, sondern mehr einem hysterischen Anfall glichen. Mein Gott, wann hatte ich so was zuletzt erlebt? Zuletzt … als ich die Nachricht bekam, dass Timi vermisst wurde. Ich wischte sie von meinen Wangen, stapelte unsere Teller übereinander und trug weg. An der Tür stieß ich mit Sophie zusammen. Sie hielt mich fest.
>> Können wir mal reden? <<
>> Jetzt? <<, fragte ich entsetzt.
>> Wenn es dir recht ist. <<, antwortete sie, drehte sich um und lief vor mir her. Ich folgte fieberhaft sinnierend, was sie von mir wollte. >> Wäre es dir recht, wenn wir nach draußen gingen? <<, fragte sie und fixierte mich. Ich hielt ihrem Blick stand und folgte ihr, als sie wortlos, ohne meine Antwort abzuwarten, das Haus verließ. Sie blieb nicht vor der Tür stehen, sondern steuerte ums Haus, auf den Lagerfeuerplatz zu. Mir wurde unheimlich.
Es war stockdunkel und meine Augen gewöhnten sich nur langsam an den Lichtunterschied. Ich stolperte hinter ihr her. Am Lagerfeuerplatz erwartete sie mich. Spärliches Licht der erleuchteten Fenster ließen nur die Umrisse ihres Körpers erkennen.
>> Ich will gleich zur Sache kommen. <<, sagte Sophie aus der Dunkelheit. >> Du kannst dir denken, worüber ich mit dir sprechen will? << Ihre Stimme hatte einen eisigen Klang.
>> Nein. << Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben.
>> Aries. << Ihre Stimme gurrte weich, als sie seinen Namen aussprach. Sie stand mir zugewandt. Doch da ich kaum was sehen konnte und mir - das - bereits gedacht hatte, kuckte ich erstaunt.
>> Und? <<
>> Wie ist dein Verhältnis zu ihm. << Ihr Ton wurde einem Verhör ähnlich. Ich überlegte schnell, was ich ihr sagen sollte und entschied
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