Aristos - Insel der Entscheidung
über den alten schiefergedeckten Steinhäuschen der Einheimischen zu flirren begann, Kühle und Schatten. Nicht zu Unrecht wurde die fruchtbare grüne Insel auch als „Smaragd von Griechenland“ bezeichnet. Wein, Oliven und Nüsse, aber auch Pflaumen und anderes Obst gediehen unter dem tiefblauen Himmel von Aristos, den nur selten einmal ein paar kleine weiße Federwölkchen durchzogen, wie nirgendwo anders.
Schließlich lichtete sich der Wald, und Andreas erkannte den kleinen Park, der das Hotel umgab. Bloß gut, dass ich mich hier auskenne, dachte er, während er das Auto parkte, denn nur ein einziges schwaches Lämpchen glimmte über der Eingangstür.
Beinahe fluchtartig verließ Louisa den Wagen, kaum dass er zum Stillstand gekommen war. Der Gesang Hunderter Zikaden erfüllte die laue Sommernacht. Die Augen schließend, atmete sie tief den Duft von Zitronen und Pinien ein, in den sich das Salz des Meeres mischte. Abwartend beobachtete sie, wie Andreas zum Kofferraum ging, um ihr Gepäck auszuladen.
„Lass mich das machen!“, rief Jamie, der gerade ausstieg. „Ach, bis du hier bist, habe ich das längst erledigt.“ Und schon stellte Andreas die zweite Reisetasche ab. „Man kann hier ja sogar das Meer rauschen hören. Sind wir so nah am Wasser, Louisa?“ Aha, Jamie ist also zum ersten Mal hier, kombinierte Andreas.
Ehe sie ihm eine Antwort geben konnte, kam Yannis, der Hotelbesitzer, herausgeeilt, um sie wie jedes Jahr herzlich zu begrüßen. Als der kleine alte Mann Andreas erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen. Ihn hier zu sehen, hatte er nun wirklich nicht erwartet! Wo steckte denn sein alter Freund Kosta?
Die Insel war klein, und das Gedächtnis der Menschen lang. Natürlich wusste Yannis über den Familienskandal der Markonos genau bescheid. Jeder auf Aristos wusste, dass sich der älteste Sohn Hals über Kopf in eine blutjunge Touristin verliebt und sie geschwängert und dann – gegen den Willen seiner Eltern – auch noch geheiratet hatte! Auch der tragische Unfall des kleinen Nikos’ war kein Geheimnis, ebenso wenig wie die Tatsache, dass Louisa und Andreas seit Jahren getrennt voneinander lebten. Längst hatten sich alle daran gewöhnt, dass entweder sie oder er auf der Insel weilten, nie aber beide zusammen.
Als er Yannis die Hand zur Begrüßung schüttelte, wies er Andreas auf Griechisch an, Jamie mit dem Gepäck zu helfen. Während der Hotelbesitzer mit ihrem Bruder im Haus verschwand, stand Louisa noch immer unschlüssig neben dem Wagen.
„Morgen sind wir das Gesprächsthema auf der Insel. Wetten?“, bemerkte er trocken.
„Ist ja nichts Neues“, erwiderte sie. Doch im nächsten Moment bereute sie bereits den sarkastischen Ton und murmelte leise: „Sorry.“
„Wieso? Du hast ja recht“, sagte er achselzuckend und lehnte sich seitlich an das Auto, sodass er ihr genau gegenüberstand. Die Hände in den Taschen, gefährlich gut aussehend und viel zu nah bei ihr! „Außerdem interessiert es mich nicht, was andere über mich denken.“
„Das hat es ja noch nie.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf ihre Sandaletten, krampfhaft bemüht, nicht darüber nachzudenken, wie unheimlich groß er wirkte, wenn er so direkt neben ihr stand. Wie groß und … atemberaubend männlich.
„Stimmt“, gab er ihr recht. Dann streckte er die Hand aus und strich ihr sanft über die Wange.
Völlig überrumpelt hielt sie den Atem an.
„Ich war vielleicht geschockt, als ich dich vorhin von der Fähre spazieren sah“, raunte er ihr zu. „Einen Moment lang dachte ich, ich träume.“
„Ja, schlimm, wenn einen die Albträume auch noch heimsuchen, wenn man wach ist!“, erwiderte sie ironisch und entzog sich seiner Berührung.
Unbeeindruckt strich er ihr eine weiche goldblonde Locke aus der Stirn. „Eigentlich war es eher ein unerwartet schöner Traum.“
Ärgerlich fauchte sie: „Lass das, Andreas! Hör auf, mit mir zu spielen!“
„Ich habe nicht mit dir, sondern mit deinem Haar gespielt.“
„Auch dazu hast du kein Recht!“
„Ich finde schon.“
Was für eine bodenlose Frechheit! „Wie in aller Welt kommst du denn darauf?“, zischte sie außer sich vor Wut.
Demonstrativ schob er die Hände wieder in die Hosentaschen und verdrehte die Augen. „Vielleicht weil du immer noch meine Frau bist?“
Vor ihrem geistigen Auge erschien das Bild, das sich in ihr Herz eingebrannt hatte, als sie damals zu ihm nach Athen geflogen war. Wie sie ihn dort in ihrem
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