Aristos - Insel der Entscheidung
dem stressigen Tagesgeschäft des Markonos Firmenimperiums fällig gewesen. Doch bisher hatte er sich standhaft geweigert, den Chefsessel freizugeben und seinem ältesten Sohn die Firmenleitung zu überlassen. Jetzt war er zwar dazu bereit, allerdings nur unter einer Bedingung, die Andreas absolut nicht akzeptieren konnte.
„Du weißt, dass ich sehr stolz auf dich bin“, begann Orestes in versöhnlicherem Ton. „Aber wenn du meinen Platz einnehmen willst, bestehe ich darauf, dass du dich mit einer Frau verheiratest, die …“
„Ich bin bereits verheiratet“, unterbrach sein Sohn ihn barsch und griff nach der Brandyflasche.
„Das ist doch nur noch eine Formalie“, erwiderte der alte Mann ungerührt. „Meine Anwälte werden sich darum kümmern.“
„ Deine Anwälte?“ Wütend fuhr er herum. Jetzt ging sein Vater wirklich zu weit!
„Natürlich nur, um für dich die nötigen Informationen einzuholen.“
„Natürlich!“ Diesmal würde sich sein Vater den ironischen Ton gefallen lassen müssen. „Aber nicht ohne mein Einverständnis.“
Das war deutlich. Aufbrausend stieß sein Vater hervor: „Fünf Jahre sind ja wohl mehr als genug Zeit, um einer Vergangenheit nachzutrauern, die nicht mehr verändert werden kann!“
Ach ja? Den Kommentar seines Vaters ignorierend, schenkte er sich ein Glas Brandy ein.
„Es ist an der Zeit, nach vorn zu schauen, dir ein neues Leben aufzubauen. Auf der stabilen finanziellen Basis, die ich dir hier anbiete. Mit einer zuverlässigen Ehefrau, die dich ab und an ein wenig zügelt. Mit einem neuen Kind.“
Der Nachsatz des durch und durch taktlosen Vortrags seines Vaters versetzte Andreas einen heftigen Stich. „Das also willst du“, brachte er mühsam hervor. „Einen neuen Enkelsohn.“
„Unsinn!“, donnerte Orestes. „Ich will, dass du endlich einsiehst, dass es mit dir so nicht weitergehen kann! Dein Lebenswandel ist mehr als ungesund! Du machst deiner Mutter große Sorgen – und mich treibst du in den Wahnsinn!“
„Tut mir aufrichtig leid, dass ich eine solche Enttäuschung für euch beide bin!“
„Ich brauche keine Entschuldigungen von dir“, erwiderte Orestes mühsam beherrscht. „Ganz egal, wie reif und erwachsen du dich fühlst, ich bin immer noch dein Vater. Und jetzt hör mir genau zu …“
„Gern“, sagte Andreas in die Atempause seines Vaters. „Wenn du etwas zu sagen hast, was ich hören will.“ Die darauf folgende Stille legte sich bleischwer über den Salon. Bestimmt würde gleich seine Mutter hereinkommen und sich nach dem Ergebnis des Vater-Sohn-Gesprächs erkundigen und dann …
Nein! Bloß nicht noch eine zermürbende Diskussion! Entschlossen machte er auf dem Absatz kehrt und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum durch die Terrassentür. Frische Luft würde ihm guttun. Das resignierte Seufzen seines Vaters ignorierend, lehnte er sich an die Hauswand und starrte grimmig in den riesigen, dämmerigen Park, der die Villa umgab. Langsam beruhigte sich sein Herzschlag, während seine Blicke zum silbrig glänzenden Meer jenseits der Gartenanlagen schweiften und an den Lichtern eines Schiffes, das gerade Kurs auf die Insel nahm, hängen blieben.
Sicherlich handelte es sich um die Fähre. Da die Insel für einen Flughafen zu gebirgig war und es noch nicht einmal eine Landebahn gab, stellte das Fährschiff, das einmal die Woche im Hafen von Aristos anlegte, die einzige Verbindung zum Festland dar. Aus lebenslanger Erfahrung wusste Andreas, dass der kleine Hafen in weniger als einer Stunde vor Menschen, Autos und Waren nur so wimmelte. Wie sehr er dieses Leben und Treiben liebte! Doch nur zwei Stunden später würde der Zauber bereits vorbei sein, wenn die Fähre wieder ablegte. Dann schien die Zeit plötzlich nur noch ganz langsam zu laufen, und Aristos verwandelte sich wieder in den ruhigen kleinen Fischerort mit den hölzernen Booten der Einheimischen, die behäbig im Wasser schaukelten. Die Promenade lag wieder verschlafen da, und nur noch ein paar Fischer tranken in den urigen Tavernen ein Gläschen Ouzo vor dem Heimgehen. Die Insel würde wieder so ruhig und beschaulich sein wie eh und je, und das war auch gut so!
Da es auf Aristos keinen Massentourismus gab – und es ihn ohne Flughafen auch niemals geben würde, konnte sich wenigstens dieser winzige Teil Griechenlands seine Besonderheiten und sein einzigartiges Flair bewahren. In der Hochsaison kamen nur wenige Sommergäste auf die Insel, die die Naturschönheiten der
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