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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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glaubwürdig, das Böse triumphiert (III 82).
    Diese Entwicklung ist der Hintergrund für Platons scharfe Kritik gegen die Rhetorik generell, welche immerhin auch dazu beigetragen hatte, dass die Verurteilung des Sokrates möglich geworden war. Aber die Kritik ist prinzipiell und findet ihren schärfsten Ausdruck in dem Dialog, dessen Titel den Namen des Schöpfers der Rhetorik als Kunstlehre trägt, im Gorgias (ca. 385 v. Chr.).
    Darin wird die Rhetorik gorgianischer Prägung radikal deklassiert zu einer auf bloßer Routine beruhenden «Schmeichelkunst» analog zur «Kochkunst» (von der Platon keine hohe Meinung hatte). Wie die Kochkunst sich zur Medizin verhält, so die Rhetorik zur Wissenschaft von wahrer Politik und Gesetzgebung. Sie ist nur ein «Schattenbild» einer auf wirklichem Wissen beruhenden Tätigkeit.
    Als Platon diesen Dialog schrieb, war der erste Impetus der sophistischen Rhetorik, die die Polis erschütterte, vorbei. Aber angewandte Rhetorik gab es mehr denn je. Jetzt traten die später als Gruppe im kanonischen Rang zusammengefassten zehn Redner auf. Die ersten, Lysias und Antiphon, hatten ihre Hauptwirksamkeit noch im 5. Jahrhundert, sie starben etwa um die Zeit, als Platon den Gorgias schrieb. Aber sie waren schon Zeugnisse einer Rhetorisierung aller Lebensbereiche, einer Überschwemmung des Lebens mit Tausenden von Reden. Allein unter dem Namen des Lysias kursierten mehr als 400 Reden, von denen 34 erhalten sind, und zwar durchweg zu praktischen Anlässen vor Gericht. Aus ihnen ließe sich die gesamte Geschäftswelt Athens in der Vielfalt des privaten und öffentlichen Lebens rekonstruieren. Zu den einflussreichsten Rednern zählte zweifellos Isokrates, der sich als Objekt der Auseinandersetzung mit der Rhetorik sowohl für Platon als auch für Aristoteles auch deshalb eignete, weil er mit einer Lebenszeit von fast 100 Jahren (ca. 436–337) beider Zeitgenosse war. Alle diese Redner hatten ihre in die Praxis umgesetzten Programme. Isokrates gründete eine einflussreiche Rhetorenschule und nannte sein Credo «Philosophie», insofern nicht ganz zu Unrecht, als die Normen seiner Wirksamkeit – weit entfernt von der sophistischen Radikalität – Redlichkeit und Anstand waren, dazu eine panhellenische Gesinnung, mit der dieser zur Einigkeit aller Griechen aufrief. Politisch brisanter waren die Reden des Demosthenes, der von dem genau gleichaltrigen Aristoteles indes nur ein einziges Mal ( Rhetorik II 24, 1401 b 33) erwähnt wird. Die Reden von Isokrates und Demosthenes bildeten zugleich in ihrer Klarheit und differenzierten Kunst des Periodenbaus den Höhepunkt in der Entwicklung der griechischen Kunstprosa und wurden später eben deshalb bewundert. Die Reden dieser Zeit waren nicht mehr von der sophistischen Schärfe geprägt, die alle Werte und Normen umkehren wollte, sondern waren dazu angetan, den Menschen in seiner Normalität zu treffen und sich in die Gesellschaft zu integrieren. In diesem Sinne hat insbesondere Isokrates über die Alltagssphäre der praktischen Privatprozesse hinaus durch seine politischen Reden den Anspruch einer allgemeinen Bildung und Erziehung erhoben.
    Unter dem Eindruck von Ausbreitung und Anspruch der Rhetorik hat Platon ca. 20 Jahre nach dem Gorgias sich im Phaidros erneut mit dem Wesen der Rhetorik auseinandergesetzt, ungefähr zu der Zeit, in der Aristoteles in die platonische Akademie eintrat. Entsprechend entzündet sich die Diskussion jetzt nicht mehr an den sophistischen Wurzeln der Rhetorik, sondern an einer Rede des Lysias, die der sonst wenig bekannte Phaidros nach dem (fiktiven) Manuskript des Lysias vorträgt. Im zweiten Teil entwickelt dann Platon (bzw. der im Dialog Platons auftretende Sokrates) drei Postulate für eine eigentliche, auf Wissen gegründete Rhetorik. Es sind dies erstens: Der Redner muss ein Wissen von seinem Gegenstand haben; er muss diesen definieren. Seine Rede muss wie ein lebendiger Organismus sein, deren einzelne Elemente der Redner begrifflich zusammenfassen und auch wieder zergliedern können muss. Platon versteht darunter aber etwas ganz anderes als die Gliederung der Rede in Eingang, Erzählung, Beweise, Wahrscheinlichkeiten usw., wie sie die traditionelle Rhetorik vornimmt. Vielmehr geht es bei einer wirklichen Rhetorik um Dialektik und dialektische Methode, d.h. um Erkenntnisstufen und -formen im philosophischen Sinne. Zweitens fordert Platon vom Redner eine Kenntnis der Seele, ihrer Teile und derer Funktionen. Anders

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