Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
Redner, mit dem nötigen Faktenwissen ausgestattet, die Enthymeme und damit die Rede aufbauen. Aus dem Reservoir der teils allgemein gehaltenen, teils inhaltlich ausgefüllten Topoi wählt der Redner die für den Einzelfall zutreffenden Sätze aus und fügt das Enthymem ein, das eine Deduktion vom Allgemeinen auf das Besondere darstellt, wie es am häufigsten in der Gerichtsrede vorkommt. Umgekehrt liefert das «Beispiel» Einzelfälle, aus denen ein allgemein gültiger Rat abgeleitet werden kann, wie es für die symbouleutische (ratende) Rede charakteristisch ist.
S PRACHE , S TILISTIK , V ORTRAGSSTIL
Was wir als drittes Buch der Rhetorik lesen, war ursprünglich eine selbständige Schrift.[ 7 ] Es ist unwahrscheinlich, dass Aristoteles sie selber den beiden Rhetorik-Büchern angehängt hat, denn die Schrift wiederholt einige Ausführungen der Rhetorik, kann aber ihrerseits nicht spät, d.h. während des zweiten Athenaufenthaltes des Aristoteles verfasst sein, weil chronologische Anspielungen im Text auf ca. 355 weisen, als Aristoteles noch in der platonischen Akademie war.[ 8 ] So wird denn wohl erst Andronikos von Rhodos diese Schrift hinter die beiden Rhetorik-Bücher gestellt haben.
Der erste Teil des Buches (III 1–12) ist eine Stilistik, aber kein systematisches Lehrbuch der Stilarten, wie es zuerst der Freund und Nachfolger Theophrast geschrieben hat. Aristoteles berührt sehr viel weitergehende Fragen wie Stimme, Tonlage, Sprachmelodie, ohne sie indes im Einzelnen weiterzuverfolgen, zumal es darüber, wie er ausdrücklich anmerkt, noch kein Lehrbuch gibt (III 1, 1403 b 36), auf das er sich stützen könnte. Aristoteles begnügt sich mit einigen Hinweisen über die Geschichte des mündlichen Ausdrucks bei Dichtern, Rhapsoden und Schauspielern, über die Bedeutung der sprachlichen Form in Dichtung und Prosa mit durchaus aktuellem Bezug, denn «jetzt» (III 1, 1403 b 33) würden nach einer langen Entwicklung die Schauspieler über die Dichtung und analog die Redner über die (schlechten) Verfassungen, d.h. über die Gesetze, dominieren.
Von besonderem Interesse sind die Ausführungen über den spontanen und den (schriftlich) vorbereiteten Vortrag. Denn in einer Zeit, in der die Verschriftlichung in allen Bereichen vorangeschritten ist, und zugleich auf dem Hintergrund der platonischen Schriftkritik führt Aristoteles den Begriff der «Rededeklamation»hypokrisis) als Terminus in die Rhetorik ein. Das Wort heißt ursprünglich «Antwort» und wurde dann für den Vortrag des Schauspielers im Theater gebraucht. Aristoteles verwendet das Wort einerseits für die Deklamation, die eine gezielte Vorbereitung und die Beachtung des richtigen Einsatzes der Stimme einschließlich der Lautstärke einschließt (so III 1), andererseits aber auch für die spontane, improvisierte Rede, der die schriftlich ausgefeilte Rede mit ihrer geringeren Lebendigkeit, aber größeren Präzision entgegengesetzt wird (III 12).[ 9 ]
Von der Sprechweise geht Aristoteles zur Sprache über, und wir bewegen uns im Grenzgebiet von Rhetorik und Poetik, auf die auch mehrfach verwiesen wird. Stilistik und Grammatik waren noch keine selbständigen Disziplinen.
Was den Stil der Rede angeht, so ist «Klarheit» die vornehmste Forderung (Rhet. III 2). Der aristotelische Grundsatz der «Mitte» wird in der Empfehlung spürbar, die Rede solle nicht zu «niedrig» (im sprachlichen Ausdruck) und nicht zu erhaben, sondern «angemessen» sein. Gleichwohl kann und soll der Redner die Sprache «verfremden» (III 2, 1404 b 10), wozu vor allem die Metapher und ihr verwandte bildliche Formen des sprachlichen Ausdrucks wie z.B. das Gleichnis gehören (III 2–4). Jedenfalls sieht Aristoteles die Möglichkeit, durch die Anwendung verschiedener Stilmittel und durch die Vermeidung «frostiger» und daher abschreckender Redemerkmale die Kraft der Rede in Ausdruck und Wirkung zu erhöhen. Bei alledem sind die vier später kanonisch gewordenen Stilqualitäten, nämlich Sprachrichtigkeit, Klarheit, Schmuck, Angemessenheit genannt, aber noch nicht in der systematisierten Form, die Theophrast diesen Elementen eines vortrefflichen Stiles gegeben hat.
Ferner fordert Aristoteles von der Prosarede einen gewissen Rhythmus, ohne dass sie dadurch zum Gedicht werden darf (III 8), wobei Aristoteles die verschiedenen Metren im Einzelnen im Hinblick auf ihre Eignung für die Verwendung in der Rede prüft. Für den Satzbau der Rede favorisiert er den der attischen Kunstprosa
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