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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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Inhalt (dem Körper) gefülltes Gefäß. Aristoteles nennt dies einen «eigenen Ort»Phys. IV 2, 209 a 33). Jeder Körper hat einen «natürlichen Ort», der durch den Richtungsgegensatz von Oben und Unten bestimmt ist. Leichte Körper streben nach oben und haben oben ihren «natürlichen Ort», schwere Körper entsprechend unten. Der einzelne Gegenstand kann seinen angestammten «Ort» verlassen, wenn er durch äußere Einwirkung in eine andere Richtung bewegt wird. Dann entsteht jedoch keineswegs etwas Leeres oder ein Hohlraum, sondern der freiwerdende Platz wird durch einen anderen Körper eingenommen, so dass eine Art Ortstausch stattfindet. Wasser und Luft wechseln ihre Orte; wo Wasser abläuft, strömt Luft ein.
    Der «Ort» ist dabei die jeweilige Angrenzungsfläche des einzelnen Körpers. Von diesem «eigenen Ort» unterscheidet Aristoteles einen «allgemeinen Ort»Phys. IV 2, 209 a 31), in dem sich alle Körper befinden. Gemeint ist damit offenbar ein Universalort, den sich alle physikalischen Körper teilen. Damit kommt Aristoteles dem Gedanken eines allgemeinen physikalischen Raumes, wie er gewöhnlich angenommen wird, doch wieder sehr nahe. Der Unterschied liegt darin, dass dieser aristotelische Universalort lückenlos angefüllt ist mit den Einzelorten entsprechend der Bewegungsdynamik des Leichten nach oben und des Schweren nach unten, wobei die Erde als Weltmittelpunkt stets an ihrer Stelle bleibt und entsprechend die uns zugewandte Grenzfläche des rotierenden Himmelsystems die gleiche bleibt. So ist die Lehre vom «Topos» auch eine Konsequenz des geozentrischen, physikalisch strukturierten Weltbildes des Aristoteles. Aristoteles wollte die mathematische Idealität des abstrakten Raumes bei Platon in physikalische Realität umwandeln.
    Die Beweisführung im Einzelnen ist verschlungen, immer wieder mit Polemik durchsetzt und nicht leicht nachvollziehbar. Unklar bleibt letztlich das Verhältnis von «Ort» und Körper. Wie kann ein «Ort» darin bestehen, lediglich die Grenzlinie eines Körpers zu einem anderen Körper zu bilden?[ 10 ]
    V ACUUM
    Hier ( Physik IV 6–9) setzt sich Aristoteles vor allem mit den Atomisten auseinander, bei denen die Annahme eines leeren Raumes ein wichtiges Moment ihrer Lehre darstellt. Diese Lehre, von Leukipp (um 500 v. Chr.) entwickelt und von Demokrit (ca. 460 – ca. 370) ausgebaut, bedeutet einen großen Fortschritt gegenüber den früheren Kosmologien, weil die Prinzipien des Seins nicht mehr an bestimmte Stoffe (Wasser, Luft, Feuer) gebunden sind, sondern in begrifflicher Abstraktion «Atome» heißen. Es gehört zu den unerklärbaren Merkwürdigkeiten, dass Name und Lehre Demokrits von Platon mit keinem Wort erwähnt werden. Platon muss Demokrit gekannt haben, ragt Demokrit doch in die Lebenszeit Platons hinein. Umso ausführlicher setzt sich Aristoteles an verschiedenen Stellen seines Werkes mit Demokrit und der atomistischen Lehre auseinander. In diesem Kontext hat er dazu wegen des atomistischen Lehrstücks vom leeren Raum konkreten Anlass.
    Relativ leichtes Spiel hat Aristoteles mit der naiven und landläufigen Meinung, ein Gefäß sei leer, wenn aus ihm die Flüssigkeit entwichen ist. Auch wir sprechen ja unreflektiert darüber, dass dann das Gefäß «leer» sei. Etwas spöttisch, aber mit Recht, urteilt Aristoteles, man habe das für leer gehalten, was in Wahrheit voller Luft sei (Phys. IV 6, 213 a 31). So habe man nicht die Realität des Leeren, sondern der Luft nachgewiesen.
    Ernsthafter ist die Auseinandersetzung mit denjenigen Anschauungen, die auf der Lehre der Atomisten beruhen, für die das Leere ein Raumstück bedeutet, in dem sich kein wahrnehmbarer Körper findet, auch keine Luft. Die Atomisten gingen davon aus, dass es eine Fülle unteilbarer Körper («Atome») gibt, zwischen denen leere Zwischenräume lägen. Anders glaubten sie, könnten Phänomene wie Verdünnung und Verdichtung, Wachstum und überhaupt Bewegung nicht erklärt werden. Das Leere sei dabei eine Lücke in der Körperwelt, in die hinein ein Körper ausgedehnt und überhaupt bewegt werden könne.
    Die Diskussion über die Existenz des Leeren muss zur Zeit des Aristoteles aktuell gewesen sein. Darauf weisen auch Experimente, über die Aristoteles berichtet. So könne Wein, wenn er, von Fässern in Schläuche umgefüllt, weniger Platz einnehmen als vorher, an Volumen also verlieren, indem er durch Eindringen in Leerstellen komprimiert wird. Ähnlich steht es mit dem Gefäß, das

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