Arkadien 01 - Arkadien erwacht
baden gehen, mehr nicht.«
»Sicher.«
Das Cabrio überquerte den abgeflachten Gipfel eines Berges. Einmal mehr öffnete sich ein kilometerweites Panorama aus senffarbenen Erhebungen und Senken. Unter ihnen lag eine weite Wasserfläche. Rosa hielt sie erst für einen breiten Fluss, aber dann erkannte sie, dass es sich um einen lang gestreckten See handelte, der sich durch mehrere Täler wand. Rechts von ihnen, im Osten, war eine gigantische Staumauer zu sehen. Sie wirkte wie ein Fremdkörper in dieser menschenleeren Landschaft aus Gelb und Ocker.
»Wir sind gleich da.« Zoe steuerte den Wagen einige Serpentinen hinab, bis die zweispurige Straße schnurgerade über die Staumauer führte. Zur Rechten gähnte ein zerklüftetes Tal, links funkelte die Oberfläche des Stausees.
Zoe parkte den Wagen am Straßenrand, genau in der Mitte des Staudamms. Nirgends war ein anderes Fahrzeug zu sehen, nur ein Vogelschwarm zog über ihnen durch den wolkenlosen Himmel.
»Lago Carnevare«, sagte sie spöttisch. »Er heißt nicht wirklich so, aber er gehört ihnen.«
Rosa zuckte die Schultern. »Sie haben einen See. Und?«
»Mit so was verdienen sie eine Menge Geld. Staatliche Bauprojekte, die keinen erkennbaren Zweck erfüllen. Niemand hier braucht einen Stausee. In dieser Gegend wohnt kaum einer und bewässert werden muss hier auch nichts. Sieh dich um – nur Einöde, menschenleere Berge und verlassene Bauernhäuser.«
»Wir bauen Windräder, die keinen Strom erzeugen. Sie eben Staumauern. Wo ist der Unterschied?«
»Darum geht es mir gar nicht«, entgegnete Zoe kopfschüttelnd. »Was du wissen solltest … warum du hier bist …« Sie zögerte, setzte neu an: »Es geht um das, was in dem See ist.«
Sie stieß die Fahrertür auf und glitt ins Freie. Rosa trat neben Zoe an die hüfthohe Brüstung. Ein, zwei Minuten lang schauten sie schweigend über die glatte Wasseroberfläche. Das glitzernde Sonnenlicht auf dem See blendete sie.
»Was ist da unten?«, fragte Rosa nach einer Weile.
»Ruinen«, sagte Zoe.
Rosa hob die Schultern. »Ganz Sizilien ist voll davon.« Das war ebenso wenig zu übersehen wie die Müllberge am Straßenrand. Ganz gleich, in welche Richtung man auf dieser Insel blickte – immer entdeckte man mindestens ein verlassenes Gehöft, wenigstens einen verfallenen Schuppen. Niemand kümmerte sich darum. Warum also hier damit anfangen?
»Da drinnen liegt ein ganzes Dorf«, sagte Zoe. »Giuliana.An ein paar Straßen in der Nähe stehen noch Schilder. Wer ihnen im Dunkeln folgt und nicht aufpasst, landet im See. Nicht mal Sperren haben sie aufgebaut.«
Rosa blinzelte, um unter der Oberfläche etwas zu erkennen, aber das war nutzlos. Das Wasser war viel zu tief, das Licht zu grell.
»Die Carnevares haben alle Hebel in Gang gesetzt, um dieses Bauprojekt an Land zu ziehen«, fuhr Zoe fort. »Berge von gefälschten Gutachten, Expertisen und Vermessungsplänen. Eine Menge Schmiergeld bis in die höchsten politischen Ebenen in Rom und Brüssel. Aber was sie hineingesteckt haben, haben sie hundertfach wieder herausgeholt: europäische Fördergelder, staatliche Finanzierungen und natürlich die Arbeitslöhne für eine Armee von Ingenieuren, Bauarbeitern und so weiter.«
»Klingt für mich trotzdem nicht anders als das, was Florinda mit ihren Windrädern macht. Nur dass die Carnevares clever genug sind, es in größerem Stil zu betreiben.«
»Wind bringt niemanden um. Wasser schon.«
Rosa sah Zoe von der Seite an. Eine frische Bö wehte über den See heran und verwirbelte ihr blondes Haar. Zoe erwiderte ihren Blick nicht und starrte weiterhin hinaus auf das Wasser.
»Was ist passiert?«
»Die Bewohner von Giuliana haben sich gewehrt. Was die Menschen eines Dorfes eben so machen, das einfach von den Landkarten verschwinden soll. Erst gab es Versammlungen, dann öffentliche Kundgebungen, sogar eine Demonstration vor dem Parlament in Rom, für die sich niemand interessiert hat. Dann nichts mehr. Vier Jahre ist das jetzt her.«
»Nichts mehr?«
»Keine Proteste, kein Widerstand.«
Rosa ahnte, auf was das hinauslief, aber sie fragte dennoch: »Sind sie ausbezahlt worden?«
»Angeblich wurden sie umgesiedelt.« Zoe verzog die Mundwinkel zu einem bitteren Lächeln. »Man hat ihnen eine neue Ortschaft in Kalabrien zugewiesen, auf der anderen Seite der Straße von Messina. Als ob man achthundert Sizilianer einfach auf ein Boot verfrachten, übers Wassers bringen und für den Rest ihres Lebens woanders
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