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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Bezüge waren seit langer Zeit nicht mehr gewechselt worden. Rosa spürte einen Stich in der Brust, weil sie sich selbst so oft allein gefühlt hatte und doch erst jetzt begriff, was Alleinsein wirklich bedeutete.
    Ein paar alte Zeitschriften lagen herum. Einige Bücher, sorgfältig gestapelt. Zerknüllte Kleidungsstücke, die alle gleich aussahen, als hätte jemand die Ständer in einem Kaufhaus abgeräumt, mehrfach dieselben Modelle, Hauptsache, die Größe stimmte. Schlichte Kleider, die sich die Gefangene über den Kopf ziehen konnte, weil am Bein die Kette im Weg war.
    Je länger Rosa sich umsah, desto mehr Details fielen ihr auf. Alessandro stand neben ihr, hatte eine Hand zur Faust geballt und presste die Lippen so fest aufeinander, dass alle Farbe daraus gewichen war.
    In die Wand neben der Tür waren zwei Eisenringe eingelassen. Die Kette lag als silberner Haufen am Boden. Wie ein Schlangenschädel schaute die leere Fußschelle daraus hervor.
    »Sie ist fort«, flüsterte Rosa.
    Alessandro starrte wie betäubt auf die Kette.
    »Oder tot«, murmelte sie. Selten waren ihr zwei Worte so zäh über die Lippen gekommen.
    »Ich bring ihn um«, flüsterte er.
    »Das hilft Iole nicht weiter.«
    »Dieser Scheißkerl.« Er fuhr herum, lief an ihr vorbei in die Küche und riss mehrere Schubladen auf. Sie waren alle leer.
    »Da ist sie bestimmt nicht drin«, bemerkte Rosa.
    Noch eine Schublade. Dann die Schränke. Alle leer, bis auf einen, in dem Packungen mit Fertiggerichten für die Mikrowelle gestapelt waren.
    »Was suchst du?«
    Draußen ertönte ein animalisches Brüllen.
    »Ein Messer«, sagte er. »Für dich.«
    Sie war mit blitzschnellen Schritten bei ihm, packte ihn an der Schulter. »Was ist hier los?«
    »Du hast es auch gehört, oder?«
    »Ich bin nicht taub.«
    »Sie schleichen schon seit einer Weile ums Haus.«
    »Sie?« Rosa gab sich Mühe, die Gedanken an Iole zu verdrängen, wieder nur an sich selbst zu denken. Darin hatte sie doch so verdammt viel Übung. Warum wollte es ihr jetzt nicht gelingen?
    »Tiere«, sagte er. »Raubkatzen.«
    Ihr Griff um seine Schulter wurde fester und musste längst schmerzhaft sein, aber er schüttelte ihre Hand nicht ab. »Tano?«, fragte sie tonlos.
    »Ich glaube nicht. Nein.«
    Sie kämpfte gegen ihre Wut an, gegen die Hilflosigkeit. »Was wird hier gespielt, Alessandro? Warum hatte dieser Tiger Tanos Augen? Ich hab mir das nicht eingebildet, oder?«
    »Ich hatte gehofft, deine Tante würde es dir erklären. Oder deine Schwester.«
    Wieder das Brüllen. Sofort erklang eine Antwort, näher, vor den Fenstern der Küche. Rosa versuchte etwas zu erkennen, aber sie sah nur den Regen, der gegen die Scheiben schlug.
    »Ich erzähl dir alles«, sagte Alessandro. »Ich versprech’s dir. Aber erst müssen wir hier weg.«
    »Dort hinaus?«, fragte sie bissig. »Sicher.«
    Ein langes, rollendes Geräusch ertönte, viele Zimmer entfernt.
    »Das war eine der Glastüren«, flüsterte Alessandro. »Mist, ich hab’s gewusst.«
    »Was?«
    »Da ist noch irgendwer auf der Insel. Jemand, der die Tiere tagsüber einsperrt und nachts frei umherstreifen lässt. Jemand muss sie füttern und in ihre Zwinger locken. Eine Art Aufseher.«
    »Was ist das hier?« Sie ließ seine Schulter los. Ihr Arm fühlte sich so schwer an wie Blei. »So was wie der Privatzoo deiner Familie?«
    »So was wie das Schlangenhaus deiner Tante, fürchte ich. Nur nicht mit Schlangen.« Er lief zur Tür. »Ich hab das nicht gewusst. Früher waren sie anderswo untergebracht. Dass Cesare es wagen würde, die Insel meiner Mutter damit –« Er verstummte, als ihm klar wurde, dass es keine Tür mehr gab, die er hätte schließen können. Auch Rosa wurde im selben Augenblick bewusst, dass sie im ganzen Haus nur offene Durchgänge gesehen hatte. Irgendwer musste sämtliche Türflügel ausgehängt haben.
    »Komm mit!«, flüsterte Alessandro.
    Ihr Widerwille regte sich, aber sie folgte ihm trotzdem, weil da etwas in seiner Stimme war, das ihr blindes Vertrauen einflößte.
    Ihr. Blindes. Vertrauen. Einflößte. Das würde sie sich später auf der Zunge zergehen lassen, falls sie die Chance dazu bekam.
    So vieles sprach dagegen, ihm zu vertrauen. Dass er ihr eine Menge verschwiegen, sie womöglich belogen hatte. Und doch war er der erste Mensch seit einem Jahr, dem sie freiwillig von Nathaniel erzählt hatte. Und es hatte sich nicht einmal schlecht angefühlt. Jetzt aber bereute sie es schon wieder.
    Erneut ertönte das

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