Arkadien 01 - Arkadien erwacht
sie sie hierher gebracht haben, kann ich mir nicht vorstellen.« Er wandte sich zu ihr um. »Hör zu, das ist jetzt wirklich wichtig: Du musst so nah wie möglichbei mir bleiben. Versuch auf keinen Fall, auf eigene Faust hier herumzulaufen.«
»Ich dachte, auf der Insel ist niemand außer Iole.«
»So sollte es eigentlich sein. Die Insel ist die meiste Zeit über unbewacht.«
»Seltsam genug, oder? Ich meine, sie halten hier eine Geisel gefangen.«
»Niemand, der die Küste in dieser Gegend kennt, wagt es, einfach hier anzulegen.«
»Gehen wir gleich zur Villa«, schlug sie vor. »Umso schneller können wir wieder verschwinden.«
Das offene Tor der alten Geschützstellung schien ihm keine Ruhe zu lassen. Aber dann nickte er langsam und machte sich gemeinsam mit ihr auf den Weg. Sie überquerten den Platz und folgten der schmalen Straße bergauf.
Rosa hatte nicht vergessen, was Iole gesagt hatte – dass nachts vor den Fenstern der Villa Tiere umherstreiften. Sie sah noch immer die Augen des Tigers vor sich. Menschenaugen. Tanos Augen.
Wieder und wieder leuchtete sie mit dem Strahler ins Dunkel zu beiden Seiten des asphaltierten Wegs. Links fiel der Hang zum Ufer ab. Das Rauschen der Brandung drang zu ihnen herauf, Regen und Finsternis verschleierten die Sicht. Die Jacht am Steg war nur noch an den verwaschenen Lichtpunkten der Bullaugen zu erkennen. Und auch die Bunkeranlage war in der Nacht versunken, als hätte die Vergangenheit sie wieder zurückgefordert.
Das Gewitter hing noch immer auf der anderen Seite des Berges, aber es regnete ohne Unterlass. Der Donner rollte in ohrenbetäubender Lautstärke. In rascher Folge erhellten Blitze den Himmel jenseits des Vulkankegels.
Sie waren schon eine ganze Weile unterwegs und kämpften sich die kurvige Piste hinauf, als Rosa unvermittelt das Schweigen brach. »Du glaubst auch, dass er sie töten wird, nicht wahr?«
Alessandro seufzte leise.
Sie blieb stehen, die Schuhe umspült von Regenrinnsalen, und leuchtete von hinten auf seine hochgeschlagene Kapuze. Er wandte sich um und blinzelte ins Licht, aber sie musterte einen Augenblick lang sein Gesicht in der Helligkeit, ehe sie die Lampe senkte. »Deshalb warst du sofort bereit hierherzufahren«, sagte sie.
»Ich glaube …«, begann er, machte dann eine Pause und suchte nach Worten. »Wahrscheinlich war es ein Fehler, mit Cesare darüber zu reden. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich kenne ihn und ich weiß, auf welche Weise er Probleme beseitigt. Ich kann nur hoffen, dass er sich im Moment über andere Dinge den Kopf zerbricht und wir noch rechtzeitig kommen.«
Was würde sie tun, wenn sie in der Villa Ioles Leichnam fanden? Sonderbarerweise war ihr dieser Gedanke bislang noch gar nicht gekommen. In ihr rührte sich ein ungewohntes Verantwortungsgefühl. »Gehen wir weiter«, sagte sie mit belegter Stimme.
Er passte sich ihrem Tempo an und blieb den Rest des Weges neben ihr. Mehrfach berührten sich ihre Hände, meist aber nur die Ärmel ihrer Regenjacken. Die Straße war steiler, als es von unten den Anschein gehabt hatte, und es war verlockend, die Serpentinen abzukürzen, indem sie querfeldein durch die Felsen kletterten. Wahrscheinlich aber hätte sie das zu viel Kraft und letztlich noch mehr Zeit gekostet.
Schließlich bogen sie um die letzte Kurve. Vor ihnen lag die Villa. In der raschen Folge der Blitze wirkte der Komplex noch verschachtelter als bei Tag. Auf seine Weise stammte er ebenso aus einer anderen Zeit wie der Betonbunker unten am Ufer. Die riesigen Scheiben reflektierten die Blitze und vervielfachten die aufglühenden Regentropfen. Sobald aber die Helligkeit verblasste, herrschte tiefe Finsternis.
Alessandro schloss das Gittertor auf. Hinter ihnen schob er es sorgfältig wieder zu, leuchtete noch einmal durch die Eisenstäbe auf den Vorplatz und den Abhang, dann eilte er mit Rosa zum Haus. Sie trugen die Nässe mit hinein, standen triefend in der Eingangshalle. Mit einem hallenden Scheppern fiel die Haustür ins Schloss.
Rosa streifte den Regenmantel ab und ließ ihn auf die Fliesen fallen. »Iole?«, rief sie. Erst jetzt bemerkte sie, dass das einzige Licht nach wie vor von ihren Handstrahlern stammte.
Alessandro trat an den Schalter neben einem der Durchgänge zu den Zimmern. Er drückte ihn mehrfach. Das Haus blieb dunkel.
»Hat der funktioniert, als wir das letzte Mal hier waren?«, fragte er argwöhnisch, schien die Frage aber vor allem an sich selbst zu richten.
Sie rieb
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