Arkadien 03 - Arkadien fällt
mitnehmen.«
»Das«, erwiderte sein Gegenüber mit einem Lächeln, »glaube ich nicht.«
Die demonstrative Überlegenheit des Hungrigen Mannes färbte auf einige seiner Getreuen ab. Erst eine Handvoll, dann immer mehr traten zwischen den Phosphorlampen hindurch und näherten sich Fundling. Noch immer wirkten sie in ihren dunklen Anzügen, Kostümen und langen Mänteln wie Konzernmanager.
»Hört mir zu!« Fundling hob eine Hand und die Fahrzeuge, die von beiden Seiten der Dammstraße näher kamen, hielten an. »Ich weiß, was ihr vorhabt. Und ich bin hier, um an eure Vernunft zu appellieren.« Er sprach anders als damals. Artikulierter und selbstsicherer. Vielleicht hatte die Kopfverletzung etwas in ihm geradegerückt. »Als die Carnevares meinen Vater getötet haben, sind ihnen nicht alle seine Unterlagen in die Hände gefallen. Vieles davon hatte er längst ausgewertet, die Ergebnisse waren an einem sicheren Ort versteckt.« Fundling ließ den Hungrigen Mann nicht aus den Augen, obwohl er alle Anwesenden ansprach. »Ich habe das meiste davon gelesen. Und im Grunde läuft es auf etwas sehr Simples hinaus: Falls ihr das hier zu Ende bringt, falls ihr das neue Konkordat durch die Hochzeit und ein Opfer besiegelt, dann seid ihr alle so gut wie tot.«
Ein spöttisches Raunen rauschte durch die Reihe der Arkadier.
»Das ist es, was du uns zu sagen hast?«, fragte der Hungrige Mann. »Dass wir besser tun, was du verlangst, weil wir sonst … ja, was? Umkommen werden?«
Fundling verzog keine Miene. »So ist es.«
»Derjenige, der diesen Abend nicht überleben wird, bist du, mein Junge.«
»Arkadien ist schon einmal gefallen«, entgegnete Fundling. »Und auch ihr werdet untergehen, wenn ihr nicht aufhört, den Willen der Götter mit Füßen zu treten.«
» Götter? «, rief das Oberhaupt der Arachnida. »Wir sind keine Narren, junger Mori. Wenn du uns mit Geschichten von Göttern und Geistern und – lass mich raten – den Löchern in der Menge einschüchtern willst, dann hast du dir viel vorgenommen. Ich kannte deinen Vater. Ich weiß, womit er sich beschäftigt hat.«
Die Tatsache, dass die Arkadier ihn nicht längst getötet hatten, verdankte Fundling einzig den Journalistenteams auf der Brücke. Keiner hier konnte sicher sein, wie viele Teleobjektive auf die Versammlung gerichtet waren, und niemand wagte mehr, seine wahre Natur zu zeigen. Doch die Geduld der Arkadier erschöpfte sich zusehends. Fundling bewegte sich auf dünnem Eis.
»Mein Vater hat erkannt, wer die Unsichtbaren sind und wer sie gesandt hat. Es ist nicht nötig, dass ich euch Angst mache. Sie werden das noch zur Genüge tun.«
»Schluss damit!«, rief ein Hunding.
»Stopfen wir ihm das Maul«, stimmte ihm eine von Rosas Cousinen zu und stieß ein giftiges Zischen aus.
Mehrere Arkadier machten ein paar Schritte nach vorn und passierten Rosa, Alessandro und ihre Bewacher. Mit einem Mal befanden sich die beiden hinter den aufgebrachten Männern und Frauen. Als Rosa die Aufmerksamkeit der anderen nicht mehr auf sich spürte, konnte sie endlich wieder durchatmen.
»Ihr glaubt mir nicht?«, fragte Fundling, ohne nur eine Handbreit zurückzuweichen. »Ihr wollt tatsächlich die Mächte verleugnen, die die Brücke zerstört und das arkadische Reich ausradiert haben?«
Der Hungrige Mann stieß ein sanftes Lachen aus. Es klang fast mitfühlend.
Fundlings Mundwinkel schoben sich nach oben. Dann sagte er sehr langsam: »Dabei sind sie doch längst hier.«
Sogar Rosa spürte eine Woge aus Kälte, die den Pulk der Arkadier streifte. Ein kollektiver Schauder, der aus der Menge auf sie übergriff.
Der Hungrige Mann öffnete den Mund, um zu widersprechen.
Was er sagen wollte, ging unter in infernalischem Getöse.
Einen Augenblick lang glaubte Rosa tatsächlich, dass sich Fundlings Prophezeiung bewahrheiten würde. Dass der Staudamm unter ihnen zerbräche wie einst die Brücke über der Straße von Messina. Dass tatsächlich alles der Wahrheit entspräche.
Aus den Tiefen jenseits der Brüstung stieg der Hubschrauber empor. Gleißend helle Scheinwerfer flammten in der Dunkelheit auf und tauchten die Szenerie in künstliches Tageslicht. Der Sturmwind der Rotoren erfasste sie alle, ließ die Mantelschöße der Arkadier tanzen, fuhr in Haar und Kleidung und schleuderte die Lamien am Geländer zurück auf die Straße.
Sekundenlang waren alle geblendet.
Ruinen
D er Hungrige Mann warf den Kopf in den Nacken. Nicht einmal der Lärm des Helikopters
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