Arktis-Plan
Dokumentation über Kretek herausdestilliert und dabei intuitiv erahnt hatte, was Klein wirklich über den Mann und seine Organisation wissen musste:
Interpol und die anderen westlichen Nachrichtendienste, die sich mit Anton Kretek befassen, sind nicht sicher, ob es sich um den echten Namen des Waffenhändlers oder um einen Decknamen handelt. Diese Information ist in den Wirren eines in der Auflösung begriffenen Jugoslawiens verlorengegangen. Es ist jedoch bekannt, dass er Kroate ist und irgendwo aus der Nähe der Grenze dieser gescheiterten Nation mit Italien stammt.
Im verwirrenden eugenischen Wortschatz des Balkans ist ein »Kroate« theoretisch ein römisch-katholischer Südslawe, der das lateinische Alphabet benutzt, im Gegensatz zu einem »Serben«, bei dem es sich um einen südslawischen Anhänger der griechisch-orthodoxen Glaubenslehre handelt, der die kyrillische Schrift verwendet.
Kretek hält sich, soweit das bekannt ist, an die Glaubenssätze keiner organisierten Religion. Inmitten der unergründlichen religiösen, politischen, rassistischen und ethnischen Leidenschaften Mitteleuropas ist der Waffenhändler eine Seltenheit. Er scheint vollkommen areligiös, apolitisch und gänzlich frei von Rassismus und ethnischen Vorurteilen zu sein. Wie bei jedem echten Kriminellen scheint seine einzige Sorge das eigene Überleben und Wohlergehen zu betreffen. Bis zum heutigen Tage war er in diesen Bestrebungen außerordentlich erfolgreich.
Kretek hat sich damit gebrüstet, seine Organisation auf einer einzigen Kofferraumladung Gewehrpatronen begründet zu haben, die von einem jugoslawischen Heeresdepot erbeutet wurden. Von diesen bescheidenen Ursprüngen ausgehend, hat er die Kretek-Gruppe innerhalb eines Zeitraums von fünfzehn Jahren zu einem kriminellen Schmugglerring ausgebaut, der an der Belieferung jeder großen und kleineren bewaffneten Auseinandersetzung
im Mittleren Osten und in den Mittelmeeranrainerstaaten beteiligt ist.
Die Kretek-Gruppe ist amorph, wie ein Tintenfisch, der laufend seine Fangarme abwirft und neue nachwachsen lässt. Es ist bekannt, dass es eine eindeutige Führungsspitze gibt, einen eng geknüpften und zuverlässigen Befehlsstab, in dessen Mittelpunkt Kretek persönlich steht, umgeben von einem in ständigem Wandel begriffenen Netzwerk von Söldnern, angeheuerten Handlangern und untergeordneten Banden, die in den Kreis hineingezogen, für etliche Operationen nutzbringend eingesetzt und dann gleich wieder fallengelassen werden.
Die amorphe Gestalt der Kretek-Gruppe stellt eine Sicherheitsmaßnahme dar. Außerdem ist unter den Verbindungsmännern zwischen diesen »Subunternehmen« und dem harten Kern des Kretek-Stabs über die Jahre eine verblüffend große Anzahl von gewaltsamen Todesfällen und urplötzlich verschwundenen Personen zu verzeichnen. Dadurch wird es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, eine Beweiskette zwischen Kretek und seinen einzelnen Operationen herzustellen, die vor Gericht bestehen könnte.
Es ist auch nichts von einem ständigen Hauptsitz der Kretek-Gruppe bekannt. Wie viele Despoten vor ihm hat auch er begriffen, dass Mobilität die Überlebenschancen erhöht. Die Hauptquartiere seiner Gruppe werden laufend innerhalb der instabileren und wenig regulierten Balkanstaaten verlegt und bieten somit niemals eine echte Angriffsfläche. Obwohl Kretek einerseits immer noch vorwiegend zu roher Gewalt greift, hat er andererseits die moderne Telekommunikation zu schätzen gelernt, um seine ausgedehnten Unternehmungen im Griff zu behalten.
Der Zerfall seiner Heimat Jugoslawien hat Kretek in seiner Anfangszeit ordentliche Profite eingebracht. In der Provinz Kosovo haben serbische Milizsoldaten und albanische Guerillas einander
mit Geschützen abgeschlachtet, die von der Kretek-Gruppe vorurteilslos beschafft wurden, und gerüchteweise hieß es, Kretek sei der entscheidende Mittelsmann bei den geheimen Waffengeschäften zwischen den Diktaturen von Slobodan Milosevic und Saddam Hussein gewesen.
Nach Milosevics Sturz und dem von der NATO im Balkan gewaltsam erzwungenen Frieden hat Kretek die Bandbreite seiner Bestrebungen ausgeweitet. Die Kampftruppen des sudanesischen Bürgerkriegs und die terroristischen Splittergruppen des Mittleren Ostens sind zu seinen neuen Kunden und heutigen Hauptabnehmern geworden.
Einen akuten Anlass zur Sorge liefern Hinweise darauf, dass Kretek sich nicht mehr mit den Gewinnspannen zufrieden gibt, die sich mit konventionellem Kriegsmaterial
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