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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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da das Lama nie über die Anden hin­aus Verbreitung fand; Lamamilch wird von Menschen nicht getrunken (wodurch ein Übertragungsweg ent­fällt); und schließlich werden Lamas nicht in Ställen im engen Kontakt mit Menschen gehalten. Im Gegensatz dazu legen junge Mütter im Hochland von Neuguinea nicht selten auch Ferkel zum Stillen an die Brust, und Schweine ebenso wie Rinder leben häufig mit ihrem Be­sitzer unter einem Dach.
    Die geschichtliche Bedeutung von Krankheiten tieri­schen Ursprungs reicht weit über die Kollision von Al­ter und Neuer Welt hinaus. Auch in vielen anderen Tei­len der Welt spielten eurasische Krankheitserreger eine entscheidende Rolle bei der Dezimierung von Urbevöl­kerungen. Betroffen waren beispielsweise die Bewohner pazifischer Inseln, die australischen Aborigines und die Khoisan-Völker (Hottentotten und Buschmänner) im südlichen Afrika. Die kumulative Sterblichkeit dieser Völker, die zuvor keine Bekanntschaft mit eurasischen Krankheitserregern gemacht hatten, lag zwischen 50 und 100 Prozent. So schrumpfte die indianische Be­völkerung von Hispaniola von etwa acht Millionen bei Kolumbus’ Ankunft im Jahr 1492 auf Null im Jahr 1535. Als 1875 ein Fidschi-Häuptling von einer Reise nach Australien heimkehrte, brach auf den Fidschiin­seln kurz darauf eine Masernepidemie aus, die ein Vier­tel der damaligen (Rest-)Bevölkerung (die meisten Fid­schi-Insulaner waren schon früher Krankheitsepidemi­en zum Opfer gefallen, die seit dem ersten Besuch von Europäern im Jahr 1791 wiederholt ausbrachen) das Le­ben kostete. Durch Syphilis, Gonorrhöe, Tuberkulose und Grippe, 1788 von Kapitän Cook und seiner Mann­schaft eingeschleppt, sowie eine schwere Typhusepide­mie im Jahr 1804 und zahlreiche »kleinere« Epidemi­en schrumpfte die Bevölkerung Hawaiis von etwa einer halben Million im Jahr 1788 auf 84 000 im Jahr 1853, als auch noch die Pocken Hawaii heimsuchten und rund 10 000 der Überlebenden töteten. Die Reihe der Beispiele ließe sich nahezu endlos fortsetzen.
    Es war allerdings nicht so, daß Krankheitserreger im­mer und überall nur auf der Seite der Europäer standen. Während in der Neuen Welt und in Australien wenige beziehungsweise keine epidemischen Krankheiten auf sie warteten, läßt sich dies für die Tropenregionen Afri­kas und Asiens gewiß nicht behaupten. Die bekannte­sten und gefährlichsten tropischen Geißeln waren (und sind) Malaria in der Alten Welt, Cholera in Südostasien und Gelbfieber in Afrika. Sie bildeten für die europä­ischen Kolonisierungsanstrengungen in tropischen Ge­filden das größte Hindernis und erklären auch, warum die koloniale Aufteilung Neuguineas und des größten Teils Afrikas erst beinahe 400 Jahre nach der Aufteilung der Neuen Welt unter europäischen Mächten begann. Nachdem Malaria und Gelbfieber an Bord europäischer Handelsschiffe auch nach Nord- und Südamerika gelangt waren, wurden sie bei der Kolonisierung tropischer Ge­biete der Neuen Welt ebenfalls zum Hindernis Nummer 1. Ein bekanntes Beispiel ist die Vereitelung des französi­schen Panamakanal-Projekts durch diese beiden Krank­heiten; auch das am Ende erfolgreiche Kanalbauprojekt der USA drohte an ihnen zu scheitern.
    Lassen Sie uns vor dem Hintergrund all dieser Zusam­menhänge noch einmal die Bedeutung von Krankheits­erregern für die Beantwortung von Yalis Frage rekapi­tulieren. Ohne Zweifel waren die Europäer den meisten der nichteuropäischen Völker, über die sie den Sieg da­vontrugen, in puncto Bewaffnung, Technik und politi­scher Organisation haushoch überlegen. Doch das allein erklärt noch nicht vollständig, wie es geschehen konnte, daß eine anfangs kleine Zahl europäischer Immigran­ten einen so großen Teil der Bevölkerung Nord- und Sü­damerikas und einiger anderer Regionen der Welt von ihrem Platz verdrängen konnte. Vielleicht wäre es nicht so gekommen, hätten die Europäer kein so unheilvol­les Mitbringsel im Gepäck gehabt: die Krankheitserre­ger, die sich in den Jahrtausenden des engen Zusammen­lebens der Eurasier mit ihren Haustieren entwickelt hat­ten.

KAPITEL  11
Blaupausen und Lehnlettern
Die Evolution der Schrift
    D ie meisten Autoren des 19. Jahrhunderts sahen in der Geschichte einen Prozeß, der von der Barbarei zur Zivilisation hinführte. Als Meilensteine des Über­gangs galten das Aufkommen der Landwirtschaft, der Metallverarbeitung, komplizierter Techniken, zentra­listischer Herrschaftsformen und der Schrift.

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