Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Ideendiffusion (z. B. die altirische Oghamschrift ), in der Regel aber durch Nachahmung und Veränderung der Buchstabenformen.
    Diese Evolution des Alphabets läßt sich bis zur ägyp­tischen Hieroglyphenschrift zurückverfolgen, die für je­den der 24 ägyptischen Konsonanten ein eigenes Zeichen besaß. Die Ägypter taten jedoch nie den (aus unserer Sicht) logischen nächsten Schritt und gaben all ihre Lo­gogramme, Determinative und Zeichen für Konsonan­tenpaare und -trios auf, um nur noch ihr Konsonanten­alphabet zu verwenden. Ab etwa 1700 v. Chr. begannen Semiten, die mit den ägyptischen Hieroglyphen vertraut waren, Experimente in dieser Richtung.
    Die Beschränkung von Zeichen auf die Darstellung einzelner Konsonanten war nur die erste von drei we­sentlichen Innovationen, durch die sich Alphabete von anderen Schriftsystemen unterschieden. Die zweite be­stand in der Anordnung der Buchstaben in einer festen Reihenfolge und in der Vergabe von Namen, die man sich leicht merken konnte. Im Englischen verwenden wir zum Buchstabieren unseres Alphabets weitgehend bedeutungslose Silben (»a«, »bee«, »cee«, »dee« usw.). Die semitischen Namen hatten dagegen in semitischen Sprachen eine Bedeutung: Es handelte sich um Wörter für Dinge des täglichen Lebens ( wie aleph = Ochse, beth = Haus, gimel = Kamel, daleth = Tür usw.). Die­se semitischen Bezeichnungen standen in »akrophoni­scher« Verwandtschaft zu den entsprechenden semiti­schen Konsonanten, was bedeutet, daß die Buchstaben nach Objekten benannt wurden, deren Bezeichnung mit dem entsprechenden Laut begann (also a, b, g, d usw.). Überdies handelte es sich bei den ältesten Formen vie­ler semitischer Buchstaben um bildliche Darstellungen der besagten Objekte. Aus all diesen Gründen waren die Formen, Namen und die Reihenfolge der Buchsta­ben des semitischen Alphabets leicht zu behalten. In vie­len modernen Alphabeten, so auch in unserem, ist die ursprüngliche Reihenfolge mit kleinen Änderungen bis heute, über 3000 Jahre später, im wesentlichen erhalten geblieben (das griechische Alphabet behielt sogar die ur­sprünglichen Namen der Buchstaben bei: Alpha, Beta, Gamma, Delta usw.). Eine Änderung, die Ihnen viel­leicht schon aufgefallen ist, bestand darin, daß aus dem semitischen und griechischen g der lateinische Buchsta­be c wurde; dafür erfanden die Römer ein neues g und gaben ihm seine jetzige Position im Alphabet.
    Die dritte und letzte Innovation auf dem Weg zu mo­dernen Alpha beten war die Einführung von Vokalen. Schon in der Frühphase des semitischen Alphabets wur­de mit Methoden zur Darstellung von Vokalen experi­mentiert, indem man kleine Vokalzeichen erfand oder Punkte, Linien oder Haken über die Konsonanten setz­te. Im 8. Jahrhundert v. Chr. gingen die Griechen als er­ste dazu über, alle Vokale systematisch mit Zeichen des gleichen Typs wie Konsonanten zu schreiben. Ihre Vo­kale α – ε – η – ο gewannen sie durch »Umfunktionie­rung« von fünf Buchstaben des phönizischen Alphabets, die sie nicht benötigten, da es die entsprechenden Laute in ihrer Sprache nicht gab.
    Von jenen ältesten semitischen Alphabeten führte eine Evolutionslinie über die frühen arabischen Alphabete zum modernen äthiopischen Alphabet. Eine weitaus be­deutendere Linie führte zum aramäischen Alphabet, in dem offizielle Dokumente des Persischen Reichs verfaßt waren, und von dort zu den modernen arabischen, he­bräischen, indischen und südostasiatischen Alphabeten. Die für die meisten europäischen und amerikanischen Leser wichtigste Entwicklungslinie führte jedoch über die Phönizier im 8. Jahrhundert zu den Griechen, von dort im gleichen Jahrhundert zu den Etruskern und ein Jahrhundert später zu den Römern, deren unwesentlich modifiziertes Alphabet Sie gerade vor sich haben. Dank ihrer potentiellen Überlegenheit, die in der Kombinati­on von Genauigkeit und Einfachheit liegt, konnten sich Alphabete mittlerweile in den meisten Regionen der Welt durchsetzen.
    Das Kopieren und Abwandeln von »Blaupausen« ist zwar die einfachste Methode, um sich neue Techniken anzueignen, doch diese Option ist nicht immer vorhan­den. Vielleicht wird die ursprüngliche Erfindung geheim­gehalten, oder ihre Details sind nur denen verständlich, die in ihre Geheimnisse bereits eingeweiht sind. Viel­leicht spricht sich auch nur herum, daß an irgendeinem fernen Ort eine Erfindung gemacht wurde, ohne daß nä­here Einzelheiten

Weitere Kostenlose Bücher