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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Möglichkeit herangezogen – der Entwicklungs­sprung hätte demnach in Afrika stattgefunden. Auch die Ergebnisse molekularbiologischer Untersuchungen (an­hand der sogenannten Mitochondrien-DNS) wurden zu­nächst dahingehend bewertet, daß der Ursprung des mo­dernen Menschen in Afrika liegt, aber inzwischen sind Zweifel an der Gültigkeit dieser Interpretation aufgekom­men. Auf der anderen Seite wurden von Vertretern der physischen Anthropologie an Schädeln von Menschen, die vor mehreren hunderttausend Jahren in China und Indonesien lebten, Merkmale entdeckt, die noch heute bei Chinesen beziehungsweise australischen Aborigines anzutreffen sind. Sollten sie recht haben, spräche das für eine parallele Evolution und die gleichzeitige Ent­stehung des modernen Menschen in verschiedenen Re­gionen statt in einem einzigen Garten Eden. Die Frage bleibt vorerst ungeklärt.
    Die Indizien für eine regional beschränkte Geburt des modernen Menschen und sein anschließendes Vordrin­gen in bis dahin von anderen Populationen besiedelte Regionen sind in Europa am stärksten. Vor rund 40 000 Jahren betraten die Cromagnons die europäische Bühne, mit moderner Skelettanatomie, überlegenen Waffen und anderen neuartigen kulturellen Merkmalen. Binnen we­niger Jahrtausende waren die Neandertaler, die Hundert­tausende von Jahren die alleinigen Bewohner Europas gewesen waren, wie vom Erdboden verschluckt. Diese Reihenfolge spricht sehr dafür, daß die modernen Cro­magnons ihre weit überlegene Technik und ihre Sprach­fähigkeit beziehungsweise ihre für Sprache ausgelegten Gehirne in irgendeiner Weise nutzten, um die Neander­taler mit Krankheiten anzustecken, sie zu töten oder zu vertreiben. Nennenswerte Hinweise darauf, daß auch eine Vermischung stattfand, wurden nicht gefunden.
    Der »große Sprung nach vorn« fällt zeitlich mit der ersten nachgewiesenen Ausweitung der Grenzen des menschlichen Lebensraums in großem Stil seit der Be­siedlung Eurasiens durch unsere Urahnen zusammen. Ich spreche von der Besiedlung Australiens und Neu­guineas, zu jener Zeit noch ein zusammenhängender Kontinent. Eine Vielzahl von Fundstätten, die mit der Radiokarbon-Methode datiert wurden, bezeugen die Anwesenheit des Menschen in Australien/Neuguinea im Zeitraum zwischen 40 000 und 30 000 Jahren vor unserer Zeitrechnung (natürlich gibt es auch hier die üblichen, aber umstrittenen Behauptungen einer noch früheren Präsenz). Binnen kurzer Zeit nach jener ersten Besiedlung hatten die Neuankömmlinge den gesamten Kontinent in Besitz genommen und sich an seine viel­fältigen Lebensräume angepaßt, von den tropischen Regenwäldern und Hochgebirgen Neuguineas über das trockene Landesinnere bis hin zum regenreichen Süd­ostzipfel Australiens.
    Während der Eiszeiten war ein so großer Teil der ozeanischen Wassermassen in Gletschern gebunden, daß der Meeresspiegel an die 150 Meter unter seinen gegen­wärtigen Stand sank. Als Folge davon wurden die heuti­gen Flachmeere zwischen dem asiatischen Festland und den indonesischen Inseln Sumatra, Borneo, Java und Bali trockengelegt. (Das gleiche geschah auch in ande­ren Teilen der Welt mit flachen Meerengen wie der Be­ringstraße und dem englischen Kanal.) Das Festland Südostasiens reichte damals über 1000 Kilometer wei­ter nach Osten als heute. Das änderte aber nichts daran, daß die indonesischen Inseln zwischen Bali und Austra­lien weiter von Tiefseerinnen umgeben waren. Um vom asiatischen Festland nach Australien/Neuguinea zu ge­langen, mußten mindestens acht Tiefseerinnen überquert werden, von denen die breiteste wohl über 80 Kilometer maß. Während die meisten dieser Rinnen zwischen In­seln lagen, die sich in Sichtweite voneinander befanden, war Australien selbst von den nächstgelegenen indonesi­schen Inseln Timor und Tanimbar aus niemals sichtbar. Deshalb ist die Besiedlung von Australien/Neuguinea in­sofern besonders bedeutsam, als dafür Wasserfahrzeu­ge erforderlich waren und somit der älteste Beweis für den Gebrauch solcher Fahrzeuge durch den Menschen erbracht war. Erst rund 30 000 Jahre später (vor 13 000 Jahren) tauchten Boote in einem anderen Teil der Welt auf, und zwar im Mittelmeerraum.
    Anfangs hielten es Archäologen für möglich, daß die Besiedlung von Australien/Neuguinea zufällig durch eine Handvoll Menschen erfolgte, die beim Fischen auf einem Floß nahe einer der indonesischen Inseln aufs Meer getrieben wurden. Im Extremfall hätte es sich bei

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