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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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noch nicht auf ihrem Speise­plan. Nicht einmal die Kunst des Fischfangs beherrsch­ten sie: In Fundstätten direkt an der Küste kamen weder Fischknochen noch Angelhaken zum Vorschein. Von modernen Menschen konnte man bei diesen Geschöp­fen noch genausowenig sprechen wie bei den Neander­talern, die zur gleichen Zeit lebten.
    Vor rund 50 000 Jahren fiel endlich der Startschuß für die Menschheitsgeschichte, und der »große Sprung nach vorn«, wie ich diese Phase nenne, begann. Die frühe­sten eindeutigen Belege für jene Entwicklung stammen aus Fundstätten in Ostafrika, in denen standardisierte Steinwerkzeuge und der erste erhaltene Schmuck (Perlen­ketten aus Schalen von Straußeneiern) zutage kamen. Ähnliche Entwicklungen folgten kurz darauf im Nahen Osten und in Südosteuropa, dann (vor rund 40 000 Jah­ren) auch in Südwesteuropa, wo eine Fülle von Arte­fakten auftauchten, die mit Funden anatomisch völlig moderner Skelette von Menschen, die als Cromagnon­rasse bezeichnet werden, im Zusammenhang standen. Von da an wird der an archäologischen Stätten gefun­dene Abfall rasch immer interessanter und läßt keinen Zweifel mehr daran, daß wir es mit nicht nur biologisch, sondern auch vom Verhalten her modernen Menschen zu tun haben.
    Von Cromagnon-Menschen hinterlassene Abfallhau­fen enthalten nicht nur Werkzeuge aus Stein, sondern auch aus Knochen, deren Eignung als Werkstoff (z. B. zur Herstellung von Angelhaken) früheren Menschen offen­bar entgangen war. Werkzeuge wurden in vielfältigen, eindeutigen Formen angefertigt, die so modern waren, daß ihre Funktionen als Nadeln, Ahlen, Gravierwerk­zeuge usw. für uns noch heute klar erkennbar sind. Ne­ben einteiligen Werkzeugen, wie zum Beispiel Schabern, wurden nun erstmals auch mehrteilige Werkzeuge gefun­den. Zu den mehrteiligen Waffen, die an Cro-Magnon-Fundstätten zum Vorschein kamen, zählten unter ande­rem Harpunen, Speer schleudern und schließlich auch Pfeil und Bogen, die Vorläufer von Flinten und anderen mehrteiligen Waffen der Neuzeit. Die so gewonnene Fä­higkeit, aus sicherer Entfernung zu töten, ermöglichte das Jagen so gefährlicher Tiere wie Nashörner und Ele­fanten, während die Erfindung des Seils, aus dem Netze, Angelschnüre und Schlingen hergestellt werden konnten, zur Erweiterung unseres Speiseplans um Fisch und Vögel führte. Überreste von Häusern und genähter Kleidung belegen die stark gewachsene Fähigkeit zum Überleben in kaltem Klima, während Schmuck und sorgfältig be­grabene Skelette von revolutionären Veränderungen in ästhetischer und spiritueller Hinsicht zeugen.
    Die bekannteste Hinterlassenschaft der Cromagnons sind die Zeugnisse ihres künstlerischen Schaffens in Form grandioser Höhlenmalereien, Statuen und Musik­instrumente, die heute noch als Kunst betrachtet wer­den. Jeder, der die überwältigende Kraft der lebensgro­ßen Pferde- und Stiergemälde in der Höhle von Lascaux in Südwestfrankreich auf sich wirken läßt, begreift so­fort, daß die Urheber geistig ebenso modern gewesen sein müssen wie anatomisch.
    Im Zeitraum vor 100 000 bis 50 000 Jahren vollzog sich offenbar ein folgenschwerer Wandel in den Fähig­keiten unserer Vorfahren. Der »große Sprung nach vorn« wirft zwei wichtige, bis heute ungeklärte Fragen auf: die nach der Ursache und die nach dem Ort des Gesche­hens. Zur Ursache habe ich in meinem Buch Der Drit­te Schimpanse auf eine Vervollkommnung des Stimm­apparats und somit die Entstehung der anatomischen Grundlage der Sprache, von der die menschliche Krea­tivität in so hohem Maße abhängt, als Möglichkeit hin­gewiesen. Andere Autoren gehen davon aus, daß in je­ner Zeit eine Veränderung in der Organisation des Ge­hirns eintrat, die bei unverändertem Hirnvolumen die Entstehung der Sprache ermöglichte.
    Mit Blick auf die Geographie des »großen Sprungs« stellt sich die Frage, ob er weitgehend in einem einzigen geographischen Raum stattfand und die dort lebenden Menschen in die Lage versetzte, sich in andere Teile der Welt auszubreiten und die dortigen menschlichen Popu­lationen zu verdrängen, oder ob er sich in verschiede­nen Regionen parallel abspielte. Im zweiten Fall würde es sich bei jeder der heutigen Populationen in den be­treffenden Gebieten um Nachfahren der vor dem »gro­ßen Sprung« dort lebenden Populationen handeln. Die relativ modern wirkenden Schädel aus Afrika aus der Zeit vor ungefähr 100 000 Jahren wurden als Indiz für die erste

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