Arm und Reich
unsere prähistorischen Ahnen vermutlich mit Moas und Riesenlemuren.
Eine Hypothese zur Erklärung des Aussterbens der australischen und neuguineischen Großtiere lautet mithin, daß diese vor rund 40 000 Jahren von dem gleichen Schicksal ereilt wurden. Die meisten Großtierarten Afrikas und Eurasiens konnten im Gegensatz dazu bis in die Neuzeit überleben, da sich ihre Evolution über Hunderttausende oder gar Millionen von Jahren parallel zur Evolution des Menschen vollzog. Dadurch hatten sie genügend Zeit, den Menschen fürchten zu lernen, während sich die anfangs sehr bescheidenen Jagdkünste unserer Vorfahren ganz allmählich verbesserten. Die Dodos, Moas und vielleicht auch die Großtierarten von Australien/Neuguinea hatten das Pech, aus heiterem Himmel und ohne behutsame Vorbereitung durch die Evolution mit menschlichen Eindringlingen konfrontiert zu werden, die bereits über ausgereifte Jagdfertigkeiten verfügten.
Die sogenannte »Overkill«-Hypothese ist für Australien/Neuguinea jedoch nicht unumstritten. Kritiker wenden ein, daß bisher noch keinerlei Knochen ausgestorbener australischer/neuguineischer Großtiere gefunden wurden, an denen sich nachweisen ließe, daß menschliche Jäger am Werk waren. Befürworter der »Overkill«-Hypothese halten dem entgegen, daß Funde solcher Spuren auch nicht zu erwarten seien, sofern die Ausrottung sehr schnell und vor sehr langer Zeit stattfand, beispielsweise innerhalb weniger Jahrtausende vor etwa 40 000 Jahren. Die Kritiker parieren wiederum mit einer Gegentheorie: Vielleicht erlagen die Großtiere vielmehr einem Klimawechsel, beispielsweise einer schweren Dürre auf dem ohnehin sehr trockenen australischen Kontinent. Die Debatte dauert an.
Mir persönlich ist es rätselhaft, warum die australischen Großtiere über Zehnmillionen von Jahren zahllose Dürreperioden hätten überstehen sollen, um dann alle nahezu im gleichen Moment (jedenfalls auf einer Zeitskala, die in Jahrmillionen mißt) just dann tot umzufallen, als die ersten Menschen eintrafen. Zudem starben die Großtiere nicht nur im trockenen Landesinneren Australiens aus, sondern auch im feuchtheißen Neuguinea und im feuchtkühlen Südosten Australiens. Jeder Lebensraum ohne Ausnahme, von den Wüsten über die kalten bis hin zu den tropischen Regenwäldern, war davon betroffen. Deshalb halte ich es für am ehesten denkbar, daß die Großtierwelt von Australien/Neuguinea tatsächlich von Menschen ausgelöscht wurde, und zwar direkt (Erlegung als Jagdbeute) ebenso wie indirekt (als Folge von Bränden und Eingriffen des Menschen in die Umwelt).
Unabhängig davon, ob sich am Ende die »Overkill«-oder die Klimahypothese als richtig erweist, werden wir sehen, daß das Verschwinden der gesamten Großtierwelt in Australien/Neuguinea schwerwiegende Folgen für den weiteren Geschichtsverlauf hatte. Durch die Ausrottungen jener Zeit verschwanden sämtliche großen Wildtiere, die später vielleicht hätten domestiziert werden können. Zurück blieben die Bewohner Australiens und Neuguineas ohne ein einziges heimisches Haustier.
Die Besiedlung von Australien/Neuguinea erfolgte also erst um die Zeit des »großen Sprungs nach vorn«. Eine weitere Ausdehnung des menschlichen Lebensraums, die kurz darauf begann, war auf die kältesten Regionen Eurasiens gerichtet. Obwohl die Neandertaler während der Eiszeit lebten und an die Kälte angepaßt waren, drangen sie nicht weiter nach Norden vor als bis nach Norddeutschland und Kiew in der Ukraine. Das überrascht insofern nicht, als es ihnen offenbar an Nadeln, genähter Kleidung, warmen Behausungen und anderen Voraussetzungen für das Überleben in wirklicher Kälte mangelte. Anatomisch moderne Völker, die über diese technische Ausstattung verfügten, wanderten vor etwa 20 000 Jahren nach Sibirien ein (und wieder gibt es die üblichen, umstrittenen Behauptungen einer viel früheren Besiedlung). Auf das Konto der damaligen Expansion könnte das Aussterben des Wollmammuts und des Wollnashorns in Eurasien gehen.
Mit der Besiedlung von Australien/Neuguinea hatte der Mensch drei der fünf bewohnbaren Kontinente in Besitz genommen. (Europa und Asien werden in diesem Buch als ein Kontinent behandelt. Die Antarktis zähle ich nicht mit, weil Menschen erst im 19. Jahrhundert dorthin vordrangen und diese Region bis heute noch nie eine menschliche Population ernährt hat.) Damit blieben nur noch zwei
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