Arm und Reich
genügend Wohlstand und Bewohner, um Entdeckungsfahrten finanzieren und Kolonien unterstützen zu können. Zudem lagen die Landungsstellen in Amerika in subtropischen Breiten, die sich hervorragend für die Landwirtschaft eigneten, zunächst überwiegend auf der Grundlage indianischer Kulturgewächse, aber auch eurasischer Haustiere (insbesondere Rinder und Pferde). Die koloniale Expansion Spaniens über den Atlantik begann 1492, am Ende eines Jahrhunderts, in dem der Bau seetüchtiger Schiffe in Europa rasante Fortschritte gemacht hatte und in dessen Verlauf etliche Errungenschaften auf Gebieten wie Navigation und Schiffbau von verschiedenen Kulturen der Alten Welt (Islam, Indien, China, Indonesien), die sie im Indischen Ozean erprobt hatten, übernommen worden waren. So wurde es möglich, daß in Spanien gebaute und bemannte Schiffe ohne Zwischenstation à la Grönland direkt zu den Westindischen Inseln segelten. Zu Spaniens Kolonien in der Neuen Welt gesellten sich schon bald die Kolonien eines halben Dutzends anderer europäischer Staaten.
Die ersten europäischen Siedlungen in Nord- und Südamerika, angefangen mit jener, die Kolumbus im Jahr 1492 gründete, lagen auf den Westindischen Inseln. Die dort lebenden Indianer, deren Zahl zum Zeitpunkt ihrer »Entdeckung« Schätzungen zufolge über eine Million betrug, wurden auf den meisten Inseln durch Krankheiten, Vertreibung, Unterjochung, Kriege und willkürliche Ermordung rasch dezimiert. Um das Jahr 1508 wurde die erste Kolonie auf dem amerikanischen Festland gegründet, am Isthmus von Panama. Die Eroberung der beiden großen Reiche, des Azteken- und des Inka-Reichs, folgte 1519–1520 und 1532–1533. In beiden Fällen spielten von Europäern eingeschleppte Krankheiten (vermutlich die Pocken) eine maßgebliche Rolle, indem sie die Herrscher töteten und einen großen Teil der Bevölkerung dahinrafften. Die überwältigende militärische Überlegenheit selbst winziger Gruppen berittener Spanier, im Verein mit ihrem politischen Geschick beim Ausnutzen von Streitigkeiten unter den Indianern, tat ein übriges. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden auch die anderen indianischen Staaten in Mittelamerika und im nördlichen Südamerika von Europäern unterworfen.
Die Zerstörung der am weitesten entwickelten Indianerkulturen Nordamerikas – im Südosten der USA und im Tal des Mississippi – war weitgehend das Werk von Krankheiten, die von frühen europäischen Entdeckungsreisenden mitgebracht worden waren und ihnen nun vorauseilten. Im Zuge der Ausbreitung von Europäern in Nord- und Südamerika wurden viele weitere indianische Gesellschaften – beispielsweise die Mandan-Prärieindianer und die Sadlermiut-Eskimos – durch Krankheiten ausgelöscht, ohne daß es kriegerischer Anstrengungen bedurfte. Bevölkerungsreiche Indianergesellschaften, die den Ansturm der Krankheitskeime überlebten, teilten das Schicksal der Inkas und Azteken und wurden mit militärischen Mitteln vernichtet, zunehmend unter Einsatz europäischer Berufssoldaten, die von indianischen Verbündeten unterstützt wurden. Hinter den Soldaten standen mächtige politische Apparate, zunächst jene der europäischen Mutterländer, dann die europäischen Kolonialverwaltungen und schließlich unabhängige neoeuropäische Staaten, die aus den Kolonien hervorgingen.
Kleinere indianische Gesellschaften wurden eher beiläufig und willkürlich vernichtet, durch Überfälle und Einzelmorde, ausgeführt von Privatpersonen. So zählte die Jäger- und Sammlerbevölkerung Kaliforniens ursprünglich rund 200 000, war aber in hundert kleine Stämme aufgesplittert, von denen keiner so groß war, daß ein regelrechter Krieg erforderlich gewesen wäre, um ihn zu besiegen. Die meisten dieser Stämme wurden während oder kurz nach dem kalifornischen Goldrausch in den Jahren 1848–52, als Goldsucher in großer Zahl herbeiströmten, ausgerottet oder von ihrem Land vertrieben. So wurde beispielsweise der Stamm der Yahi im Norden Kaliforniens, der etwa 2000 Angehörige zählte und keine Feuerwaffen besaß, in vier Überfällen von bewaffneten weißen Siedlern vernichtet: Der erste war ein Überraschungsangriffim Morgengrauen auf ein Yahi-Dorf am 6. August 1865, an dem 17 Siedler beteiligt waren; es folgte 1866 ein Massaker an Yahi, die in einer Schlucht überrascht worden waren, dann um 1867 eins an 33 Yahi, die man zu einer Höhle verfolgt hatte, und 1868 ein
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