Arm und Reich
wurden, sondern daß einige von ihnen in Regionen Südafrikas, die für die Bantu-Landwirtschaft ungeeignet waren, überlebten. Die Xhosa, das südlichste Bantu-Volk, blieben am Fish River an Südafrikas Südküste stehen, rund 1300 Kilometer östlich von Kapstadt. Nun ist das Kap der Guten Hoffnung nicht etwa zu trocken, um dort Landwirtschaft zu treiben. Ganz im Gegenteil, es ist heute so etwas wie die Kornkammer Südafrikas. Der Grund liegt vielmehr darin, daß in der Kapregion ein mediterranes Klima mit winterlichen Niederschlägen herrscht, in dem die an Sommerregen gewöhnten Bantu-Gewächse nicht gedeihen. Als 1652 die Holländer in Kapstadt eintrafen, ihre an Winterregen angepaßten Pflanzen nahöstlicher Herkunft im Gepäck, hatten die Xhosa den Fish River immer noch nicht überschritten.
Dieses scheinbar unbedeutende Faktum der Pflanzengeographie hatte schwerwiegende Folgen für die heutige Politik. Eine davon war, daß die südafrikanischen Weißen, nachdem sie die Khoisan-Bevölkerung der Kapregion innerhalb kurzer Zeit umgebracht, mit Krankheiten infiziert oder vertrieben hatten, mit Recht behaupten konnten, daß sie länger als die Bantu in diesem Gebiet ansässig waren und somit ältere Rechte daran besaßen. Ernst muß man diesen Anspruch nicht nehmen, da die älteren Rechte der Kap-Khoisan die Weißen auch nicht davon abgehalten hatten, sie ihrer Heimat zu berauben. Folgenschwerer war indes, daß es die holländischen Siedler 1652 nur mit einer kleinen Population von Khoisan-Viehzüchtern aufnehmen mußten, nicht aber mit einer dichten bäuerlichen Bantu-Population mit Waffen und Werkzeugen aus Stahl. Als die Weißen schließlich nach Osten vordrangen und im Jahr 1702 am Fish River mit den Xhosa zusammenstießen, begann eine Zeit erbitterter Kämpfe. Obwohl die Europäer ihre Soldaten zu dieser Zeit bereits von sicheren Stützpunkten am Kap mit Nachschub versorgen konnten, brauchten sie 175 Jahre und neun Kriege, bis ihre Armeen die Xhosa unterworfen hatten. Das entsprach einem Vorrücken von durchschnittlich weniger als einer Meile pro Jahr. Wie hätten sich die Weißen je am Kap festsetzen können, wenn schon die ersten holländischen Schiffe auf derart massiven Widerstand gestoßen wären?
Die Probleme des heutigen Südafrika beruhen somit wenigstens zum Teil auf geographischem Zufall. In der Heimat der Kap-Khoisan gab es wenige Wildpflanzen, die sich zur Domestikation eigneten; die Bantu hatten dagegen von ihren Vorfahren (5000 Jahre früher) Anbaupflanzen geerbt, die an sommerliche Niederschläge gewöhnt waren, während die Europäer von ihren Vorfahren (10 000 Jahre früher) Anbaupflanzen geerbt hatten, die bei Winterregen gedeihen. Und wieder, wie schon durch das Straßenschild »Goering Street« in der Hauptstadt des eben unabhängigen Namibia, wird man daran erinnert, wie sehr Afrikas Vergangenheit in seine Gegenwart hineinwirkt.
Wir wissen also, warum die Bantu die Khoisan verdrängen konnten und nicht umgekehrt. Wenden wir uns nun der noch offenen Frage in unserem afrikanischen Puzzle zu: Warum gelang es Europäern, Afrika südlich der Sahara zu kolonisieren? Daß es nicht umgekehrt kam, ist besonders überraschend, wo doch in Afrika über Millionen von Jahren die einzige Wiege der menschlichen Evolution stand und vielleicht auch der anatomisch moderne Homo sapiens geboren wurde. Zu dem gewaltigen zeitlichen Vorsprung gesellten sich noch Vorteile, die mit den mannigfaltigen klimatischen und lebensräumlichen Verhältnissen sowie der besonders großen menschlichen Vielfalt verbunden sind. Hätte ein Außerirdischer unseren Planeten vor 10000 Jahren besucht, so wäre er vermutlich zu dem Schluß gekommen, Europa werde dereinst als Ansammlung von Vasallenstaaten eines subsaharischen afrikanischen Großreichs enden.
Die unmittelbaren Gründe für den Ausgang der Kollision von Afrika und Europa liegen auf der Hand. Wie beim Zusammenprall mit den indianischen Bewohnern Amerikas genossen die Europäer, als sie Afrika betraten, drei wichtige Vorteile: Sie besaßen Schußwaffen und andere technische Errungenschaften, die Schrift und eine politische Organisation, die es ihnen ermöglichte, ein so aufwendiges Unterfangen wie die Erforschung und Eroberung eines fremden Kontinents zu betreiben. Diese Vorteile offenbarten sich schon bald nach dem Beginn der Kollision: Knapp vier Jahre, nachdem Vasco da Gama 1498 zum erstenmal die ostafrikanische
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