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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Men schen, und nur einige Hundert da­von wurden mehr oder weniger domestiziert. Selbst von dieser relativ kleinen Zahl von Kulturpflanzen tragen die meisten nur unwesentlich zu unserer Ernährung bei und hätten allein kein ausreichendes Fundament für die Errichtung von Zivilisationen abgegeben. Über 80 Pro­zent der pflanzlichen Nahrung, die heute jährlich er­zeugt wird, entfällt auf ein bloßes Dutzend Arten. Dazu zählen Weizen, Mais, Reis, Gerste und Sorghum (Ge­treide), Sojabohnen (Hülsenfrüchte), Kartoffeln, Maniok und Süßkartoffeln (Wurzelknollen), Zuckerrohr, Zucker­rüben (Zuckerpflanzen) und Bananen (Obst). Über die Hälfte des Kalorienverbrauchs der Weltbevölkerung wird heute allein durch Getreide gedeckt. In Anbetracht einer so geringen Zahl bedeutender Kulturpflanzen, die aus­nahmslos schon vor Jahrtausenden domestiziert wurden, mag es nicht mehr ganz so überraschen, daß in vielen Regionen der Welt keine Wildpflanzen mit derart über­ragendem Potential als Nahrungspflanzen heimisch wa­ren. Daß in der Neuzeit keine einzige bedeutende An­baupflanze domestiziert wurde, legt den Schluß nahe, daß in vorgeschichtlicher Zeit schon praktisch sämtli­che für den Menschen nützlichen Wildpflanzen erkun­det und domestiziert wurden, sofern das eben möglich und lohnend war.
    Dennoch gibt es einige Fälle, in denen schwer zu er­klären ist, warum bestimmte Wildpflanzen nicht dome­stiziert wurden. Am auffälligsten sind jene, wo bestimm­te Pflanzen in einem Gebiet domestiziert wurden, in ei­nem anderen jedoch nicht. In diesen Fällen steht außer Zweifel, daß es möglich war, aus den betreffenden Wild­pflanzen nützliche Anbaugewächse zu züchten, so daß wir fragen müssen, warum die Domestikation in man­chen Gebieten nicht stattfand.
    Ein solches Rätsel gibt uns Afrika auf. Sorghum, eine wichtige Getreidepflanze, wurde in der Sahelzone südlich der Sahara domestiziert. Die Wildform kommt auch wei­ter südlich vor und ist selbst im südlichen Afrika heimisch, wo jedoch weder Sorghum noch irgendeine andere Pflan­ze kultiviert wurde, bis vor 2000 Jahren die Bantu-Bauern aus den Gebieten nördlich des Äquators ihr komplettes Bündel von Anbaupflanzen mitbrachten. Warum, so fragt man sich, kamen die Völker des südlichen Afrika nicht von selbst auf die Idee, Sorghum zu domestizieren?
    Nicht minder rätselhaft ist das Ausbleiben der Do­mestikation von Flachs in seinem natürlichen Verbrei­tungsgebiet in Westeuropa und Nordafrika oder von Ein­kornweizen in seinem Verbreitungsgebiet im südlichen Balkan. Da beide Pflanzen unter den ersten acht Kul­turpflanzen des Fruchtbaren Halbmonds waren, zählten sie vermutlich zu den besonders leicht domestizierba­ren Wildpflanzen. Außerhalb Vorderasiens wurden sie als Anbaupflanzen erst übernommen, als sie zusammen mit dem gesamten Ensemble landwirtschaftlicher Tech­niken aus Vorderasien eintrafen. Warum hatten die Völ­ker dieser Regionen mit ihrem Anbau nicht schon frü­her aus eigenem Antrieb begonnen?
    Ein ähnliches Beispiel betrifft die vier ältesten dome­stizierten Obstgewächse Vorderasiens, deren natürliche Verbreitungsgebiete weit über den östlichen Mittelmeer­raum, wo sie dem Anschein nach zuerst domestiziert wurden, hinausreichten: Oliven, Weinbeeren und Feigen waren auch in Italien, Spanien und Nordwestafrika hei­misch, während die Dattelpalme in ganz Nordafrika und Arabien wuchs. Diese vier zählten offensichtlich zu den am leichtesten domestizierbaren Fruchtbäumen. Warum wurden sie außerhalb Vorderasiens nicht ebenfalls do­mestiziert, sondern erst angebaut, nachdem sie im öst­lichen Mittelmeerraum domestiziert und von dort als fertige Kulturgewächse importiert worden waren?
    Weitere krasse Beispiele sind Wildpflanzen, die in Ge­bieten, in denen sich die Landwirtschaft nicht von selbst entwickelte, nie domestiziert wurden, obwohl aus en­gen Verwandten dieser Arten anderswo erfolgreich Kul­turpflanzen gezüchtet wurden. So wurde beispielsweise im östlichen Mittelmeerraum die Olivenart Olea euro­pea domestiziert. Im tropischen und südlichen Afrika, in Südasien und Ostaustralien kommen etwa 40 ande­re Olivenarten vor, die zum Teil eng mit der Olea euro­pea verwandt sind, von denen jedoch keine einzige je­mals domestiziert wurde. Ein ähnliches Beispiel handelt von Äpfeln und Weinbeeren. In Eurasien wurde je eine Apfel- und eine Weinbeerenart domestiziert. Zahlrei­che verwandte Apfel- und

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